Russische Präsidentenwahl "Niemand kann in Putins Kopf schauen"
Vier Kandidaten auf dem Stimmzettel - doch der Sieger steht fest: Putin will sich als Präsident Russlands wiederwählen lassen. Nun hat die dreitägige Wahl begonnen. Danach dürften unpopuläre Entscheidungen folgen.
Die hellgrünen Stimmzettel zur Präsidentschaftswahl sind sehr übersichtlich: Von einstmals mehr als 30 Bewerbern haben es nur vier zur Abstimmung geschafft - neben dem Amtsinhaber drei Politiker von kremlnahen Parteien, die im russischen Unterhaus vertreten sind.
Kandidat Nummer eins auf dem Stimmzettel: Wladislaw Dawankow, 40 Jahre alt, von der wirtschaftsliberalen Partei "Neue Leute". Sein Slogan in der Wahlwerbung: "Zeit für neue Leute".
Unter Dawankow der bereits feststehende Wahlsieger: Amtsinhaber Wladimir Putin, 71 Jahre alt. Er tritt inzwischen zum fünften Mal an, blickt auf insgesamt fast 20 Jahre Amtszeit als Präsident zurück. In den Fernseh-Wahlwerbespots Putins heisst es: "Stimmt für den, dem man das Land anvertrauen kann".
Leonid Slutzkij von der Liberaldemokratischen Partei (LDPR) wirbt mit dem verstorbenen stramm nationalistischen Parteigründer: "Die Sache Schirinowskis lebt weiter".
Und Nikolai Charitonow, mit 75 Jahren ältester Kandidat, tritt mit einem Slogan an, der fast selbstverständlich ist für einen Vertreter der Kommunistischen Partei (KPRF): "Für den Sozialismus!"
Formal sind die Stimmlokale für die etwa 110 Millionen Wählerinnen und Wähler erstmals an drei Tagen geöffnet - von Freitag bis Sonntag. Erstmals wird auch in denjenigen vier ukrainischen Gebieten abgestimmt, die Russland bei seiner Invasion 2022 teilweise besetzt und dem eigenen Staatsgebiet zugeschlagen hat.
Der in Russland zwischen dem 15. und 17. März umgesetzte Prozess einer Präsidentenwahl, bei dem Wladimir Putin eine fünfte Amtszeit erreicht hat, entspricht nicht demokratischen Maßstäben. Die neben Putin zugelassenen drei Kandidaten Nikolai Charitonow (Kommunistische Partei), Leonid Sluzki (rechtpopulistische LDPR) und Wladislaw Dawankow (Vize-Vorsitzender der Duma, Kandidat der wirtschaftsliberalen "Neue Leute") zählen zur Systemopposition, echte Gegner des Kremls und des Angriffskriegs auf die Ukraine waren nicht als Kandidaten zugelassen.
Abgestimmt wurde auch in den besetzten Gebieten der Ukraine - unter fragwürdigen Umständen.
Einen eigentlichen Wahlkampf hatte es im Vorfeld kaum gegeben, wohl aber Berichte unabhängiger Journalisten über Druck auf Beamte und Beschäftigte staatlicher Betriebe, sich zur Abstimmung registrieren zu lassen und mindestens zehn Personen mitzubringen.
Für unabhängige Wahlbeobachter gab es hohe Hürden, etwa wurde die Organisation "Golos" mehrfach als "Ausländischer Agent" gebrandmarkt und aufgelöst. Aus dem Ausland angekündigt waren vor allem Vertreter aus Staaten, die starke Sympathien für die russische Führung hegen wie Serbien beziehungsweise selbst autokratisch bis diktatorisch regiert werden (Venezuela, Myanmar, Kamerun). Aus Deutschland wollten drei Abgeordnete der AfD als "Experten für Demokratie" einreisen.
Bei früheren Wahlen hatte es in Russland stets Meldungen und Beweisvideos von Manipulationen an den Wahlurnen, Mehrfachabstimmungen oder Anreizen wie üppigen Buffets der Regierungspartei "Einiges Russland" in Wahllokalen gegeben. Proteste wurden von Sicherheitskräften in kürzester Zeit unterbunden und zogen meist eine Strafverfolgung nach sich.
Jasper Steinlein, tagesschau.de
Freie Wahlen nicht vorstellbar
Die Wahlbeteiligung von 2018 - offiziell 67,5 Prozent - gilt es zu übertreffen bei dieser Abstimmung, die sich als Referendum für Präsident Putin verstehen lässt. Massiv wurde für das digitale Vorabwählen getrommelt. In einem Erklärvideo versuchte die zentrale Wahlkommission, Zweifel an einer sauberen Wahl zu zerstreuen: "In jedem Wahllokal gibt es Beobachter und es sind Kameras zur Kontrolle aufgehängt, da kann, wenn nötig, zurückgespult werden."
Internationale Wahlbeobachter der OSZE hat Russland diesmal nicht eingeladen - anders als noch 2018. Freie Wahlen sind nicht vorstellbar in einem Land, das Oppositionsstimmen unterdrückt oder wegsperrt, keine freie Presse erlaubt, seit zehn Jahren eine militärische Auseinandersetzung gegen ein Nachbarland führt und keinen Protest dagegen duldet.
Das bekam zum Beispiel Jekaterina Duntzowa zu spüren: Sie wollte als Kandidatin mit einem Antikriegsprogramm antreten - und wurde aus formalen Gründen nicht zugelassen. Duntzowa rechnet mit einer Wahlbeteiligung von rund 70 Prozent, sagt sie in einem Interview - und was die Ergebnisse angeht: "Da sich die Opposition nun teilweise auf die Unterstützung eines Kandidaten - nämlich von Dawankow - geeinigt hat, wird er sicher viele Proteststimmen erhalten; ich denke, definitiv mehr als zehn Prozent. Und es wird viele ungültige Wahlzettel geben, womit die Wähler sagen, dass sie generell gegen alle Kandidaten sind."
Noch eine Protestform wird es geben: Am Sonntag, dem letzten Abstimmungstag. Julia Nawalnaja, die Witwe des Putin-Kritikers Alexej Nawalny, fordert in einem Video dazu auf: "Selbst wenn Sie überhaupt keinen Sinn darin sehen, zu wählen, können Sie einfach zum Wahllokal kommen, sich umdrehen und nach Hause gehen", sagt sie an die Russen gewandt. "Niemand kann Sie aufhalten, am 17. März um 12:00 Uhr ein Wahllokal zu besuchen. Das Wichtigste ist, zu kommen. Dies ist eine sehr einfache und sichere Aktion."
Amtszeit bis 2030
Wenn Sonntagabend auch das letzte Wahllokal in Kaliningrad geschlossen hat und spätestens am Montag das Wahlergebnis vermeldet wird - also die mindestens 80 Prozent Prozent für Putin - beginnt formal die Zeit der Machtübergabe.
Am 7. Mai wird Putin mit grosser Kreml-Zeremonie ins Amt eingeführt. An diesem Tag tritt die Regierung zurück, Putin kann die Schlüsselposten neu besetzen.
Was ist inhaltlich von seiner nächsten Amtszeit zu erwarten? Niemand könne in Putins Kopf schauen, sagt die Wissenschaftsjournalistin Assja Kasantzewa, die im Exil lebt: "Aber im Allgemeinen folgen nach den Wahlen unpopuläre Entscheidungen. Nach 2018 wurde das Rentenalter angehoben, diesmal werden unpopuläre Entscheidungen mit der Fortsetzung des ewigen Krieges zusammenhängen, den niemand braucht, und wahrscheinlich mit der Mobilisierung."
Neben dieser befürchteten neuen Mobilisierungswelle gilt als sicher, dass Putin zu Beginn der neuen Amtszeit die Steuern deutlich anheben wird. Er selbst deutete dies im Interview am Mittwoch an.
Wladimir Putins Amtszeit nach der Wiederwahl läuft bis 2030. Er wird in diesem Jahr 78 Jahre alt. Möglich ist danach sogar eine weitere Amtszeit - dann wäre Putin bis 2036 Präsident.