Grundsatzrede von Scholz "Gewicht Europas zur Geltung bringen"
Wie soll die EU auf die Aggression Russlands reagieren? In einer Grundsatzrede in Prag hat Kanzler Scholz nun Vorschläge zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gemacht. Der Ukraine sicherte er dauerhafte Hilfe zu.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat erstmals umfassend seine Positionen für eine neue Europapolitik umrissen. "Wir müssen das Gewicht des geeinten Europas noch viel stärker zur Geltung bringen", sagte er in seiner Europarede an der Prager Karls-Universität.
Die Rede des deutschen Regierungschefs war vor allem deshalb mit Spannung erwartet worden, da Scholz kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine Zeitenwende verkündet hatte. Allerdings bliebt er damals vage, was dies realpolitisch bedeutet. Deutschland geriet zudem in die Kritik, sich früher zu eng an Russland gehalten zu haben und der Ukraine nun zu wenig zu helfen.
Scholz: Idee gemeinsam verteidigen
Bei seiner Grundsatzrede in Prag sprach Scholz nun erneut von der Zeitenwende. Diesmal führte er allerdings konkret aus, was er sich darunter vorstellt. Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine liege es nun an den Mitgliedsstaaten, das Friedensversprechen der Europäische Union weiterzuentwickeln. Die Gemeinschaft müsse in die Lage versetzt werden, "ihre Sicherheit, ihre Unabhängigkeit und ihre Stabilität auch gegenüber Herausforderungen von außen zu sichern", forderte der Kanzler.
Russland wolle mit Gewalt neue Grenzen ziehen. "Der brutale Überfall auf die Ukraine ist somit auch ein Angriff auf die europäische Sicherheitsordnung", betonte Scholz. Umso wichtiger sei, dass "unsere Idee von Europa" gemeinsam verteidigt werde. "Daher unterstützen wir die angegriffene Ukraine: wirtschaftlich, finanziell, politisch, humanitär und auch militärisch."
Der SPD-Politiker sicherte der Regierung in Kiew dauerhafte Hilfe zu. "Wir werden diese Unterstützung aufrechterhalten, verlässlich und so lange wie nötig", sagte Scholz. "Das gilt für den Wiederaufbau des zerstörten Landes, der eine Kraftanstrengung von Generationen wird." Eine internationale Expertenkonferenz solle am 25. Oktober in Berlin über den Wiederaufbau der Ukraine beraten, kündigte er an.
Forderung nach Arbeitsteilung
In diesem Zusammenhang forderte der deutsche Regierungschef, dass die EU sich möglichst schnell auf ein "System der koordinierten Unterstützung" einigen müsse. Innerhalb dieser Arbeitsteilung könne Deutschland besondere Verantwortung beim Aufbau der ukrainischen Artillerie und Luftverteidigung übernehmen.
Als Konsequenz aus dem Ukraine-Krieg plädierte Scholz zudem für deutlich stärkere Anstrengungen für die gemeinsame Verteidigungspolitik der EU. Dafür brauche es "mittelfristig ein echtes EU-Hauptquartier" und ab 2025 eine schnelle Eingreiftruppe. Scholz bekräftigte, dass Deutschland für die geplante Einheit mit ungefähr 5000 Soldaten zu Beginn den "Kern" stellen will.
"Mehr Verantwortung übernehmen"
Scholz sprach sich grundsätzlich für die Aufnahme der Ukraine, Moldaus sowie der westlichen Balkanstaaten in die EU aus und perspektivisch auch für eine Mitgliedschaft Georgiens. Dafür brauche es aber Reformen in der EU, etwa ein Ende des Vetorechts in der Außenpolitik, sowie schlanke Institutionen. Sonst drohten "kafkaeske Verhältnisse", warnte der Kanzler.
Die EU müsse auf allen Feldern eigenständiger werden, forderte der Kanzler. Im Kern bedeute europäische Souveränität, "dass wir mehr Verantwortung übernehmen für unsere eigene Sicherheit, dass wir noch enger zusammenzustehen, um unsere Werte und Interessen weltweit durchzusetzen." Ihm schwebt vor, gemeinsam mit europäischen Nachbarn ein neues Flugabwehrsystem aufzubauen. Dass "wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa".