Kriminalität Schießereien - "eine schwedische Epidemie"
Jede Woche wurde seit Jahresbeginn in Schweden mindestens ein Mensch mit einer Waffe getötet - die Täter sind häufig Minderjährige. Die tödlichen Schießereien sind zum Wahlkampfthema geworden.
Eine Extra-Ausgabe der schwedischen Nachrichten vom 25. August: Auf einem Spielplatz in Eskilstuna sind eine Mutter und ihr Kind angeschossen worden, als in einem Wohngebiet 15 Schüsse fallen. Die Tat steht im Zusammenhang mit rivalisierenden Banden - die Opfer zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort.
"Hier waren Kinder", sagt Polizist Oskar Nissfolk und zeigt auf den Spielplatz. "Es gibt Blutspuren hier hinter mir von einem Fünfjährigen, der versucht hat, sich unter einer Schaukel zu verstecken." Der Polizist ist sichtlich schockiert.
Und noch eine andere Tat hat Schweden diesen Sommer beschäftigt: In Malmö soll ein 15-Jähriger einen Mann in einem Einkaufszentrum erschossen haben - und eine Touristin verletzt, die zufällig in der Nähe war.
Täter sind oft im Kindesalter
Junge Täter, junge Opfer. Jede Woche ist in Schweden in diesem Jahr mindestens ein Mensch mit einer Waffe getötet worden. Nicht selten sind die Täter nicht mal volljährig, berichtet Mats Löfving, Polizeichef in Stockholm. Denn kriminelle Karrieren im Gangmilieu beginnen schon im Kindesalter:
Wir sehen eine solche Entwicklung bei Acht-, Neun-, Zehnjährigen. Du kriegst ein Handy, wenn du Wache stehst, du versteckst ein paar Drogen. Die etablierten Kriminellen rekrutieren aus strategischen Gründen - sie denken schon mal an die Zukunft.
Bereits jetzt sind 2022 so viele Menschen durch Schusswaffen getötet wurden wie im gesamten vergangenen Jahr. Lange waren die Banden ein Problem gewisser Wohngebiete der großen Städte Stockholm, Malmö und Göteborg. Doch inzwischen wird im ganzen Land geschossen.
Großes Wahlkampfthema
Vor wenigen Tagen verglich Ministerpräsidentin Magdalena Andersson bei TV4 die Schießereien mit einer Epidemie: "Es ist wirklich furchtbar. Die Schießereien sind eine schwedische Epidemie, man erkennt Schweden gar nicht mehr wieder."
Dabei ist das Phänomen kein Neues, seit vielen Jahren steigt die Zahl der Schießereien kontinuierlich an. Im Wahlkampf überbieten sich die Parteien nun mit möglichen Lösungen: Härtere Strafen, mehr Polizei, mehr Integration hört man in unterschiedlichen Nuancen von Sozialdemokraten, Konservativen und Rechtspopulisten.
Und auch die Einsicht: Das Land hat ein Integrationsproblem - und eine Trennung zwischen dem wohlhabenden Schweden der Mehrheitsgesellschaft einerseits und andererseits Gegenden mit einer hohen Arbeitslosigkeit, geringem Bildungsniveau und nicht selten Anzeichen einer Parallelgesellschaft.
Die Schießereien sind ein wichtiges Wahlkampfthema: Alle Parteien überbieten sich mit Vorschlägen, wie sie angegangen werden soll.
"Müssen jetzt mit Maßnahmen starten"
"Wenn Politiker und Behörden den Kindern und Jugendlichen hier die gleichen Bedingungen bieten würden wie in ganz Schweden, dann wäre die Situation eine völlig andere. Das hier ist wie ein eigenes Land geworden", sagt eine Bewohnerin aus einem sogenannten Risikogebiet, die sich allein gelassen fühlt.
Eine andere ergänzt, sie habe früh gelernt, dass Schwedens Versprechen "Alle sind gleich viel wert" nicht eingelöst werde: "Ich erlebe das nicht so. Ich bin eine schwarze, muslimische Frau - alles drei Dinge, die schlecht sind."
Die Zahl der Polizisten in Schweden ist bereits erhöht worden, Strafen auch für Minderjährige wurden verschärft. Trotzdem ist Schwedens Polizeichef Anders Thornberg wenig optimistisch. Er wagt keine Prognose, wann eine Trendwende zu erwarten ist: "So lange mehr Kriminelle von Banden rekrutiert werden, als neue Polizisten eingestellt oder andere Stellen gestärkt werden, wird es so weitergehen und vielleicht noch schlimmer werden. Wir müssen jetzt mit den Maßnahmen starten."
Das erwarten auch viele Schwedinnen und Schweden von der Politik. Am Sonntag wird die Gangkriminalität bei der Parlamentswahl für viele eines der entscheidenden Themen sein.