Beitritt mit Hindernissen Schwedens langer Weg in die NATO
Der Weg zu Schwedens NATO-Beitritt war lang und steinig. Die Türkei stellte sich quer, Ungarn wollte plötzlich etwas klären. Die Hürden und Stationen im Überblick.
Wirklich niemand hat geahnt, welche Odyssee auf dem Weg in die NATO auf Schweden zukommen sollte. Vielleicht, weil anfangs alles so schnell ging: Der Beschluss, in das Verteidigungsbündnis zu gehen, fiel keine drei Monate nach Beginn des Krieges in der Ukraine.
Für die schwedische Gesellschaft war es eine 180-Grad-Wende: Man war so stolz auf 200 Jahre Bündnisfreiheit - bis jetzt. Doch der unerwartete Krieg veränderte die schwedische DNA rasant. Ein unabhängiges Land und eine ausgleichende Stimme in der Welt zu sein, war vielen plötzlich nicht mehr so wichtig. Lieber wollten sie Teil des großen, westlichen Verteidigungsbündnisses werden.
Am 16. Mai 2022 trat die damalige sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson mit dem Oppositionsführer Ulf Kristersson von den konservativen Moderaten vor die Presse: "Die Regierung hat beschlossen, dass Schweden der NATO mitteilen wird, dass wir Mitglied werden wollen."
Juni 2022: Schweden erfüllt viele türkische Wünsche
Finnland reichte seine Bewerbung gleichzeitig ein. Die meisten NATO-Mitgliedsstaaten ratifizierten die Anträge postwendend. Die Türkei allerdings stellte Forderungen - und die nordischen Länder kamen Ankara entgegen. Am Rande des NATO-Gipfels in Madrid 2022 erfüllten Schweden und Finnland viele Wünsche der Türkei in einem gemeinsamen Memorandum.
Sie würden die Kurdenmiliz YPG in Syrien nicht unterstützen. Es werde kein Waffenembargo zwischen den drei Ländern geben. Außerdem versprachen Finnland und Schweden, die von der Türkei geforderten Ausweisungen und Auslieferungen mutmaßlicher Terroristen zügig zu überprüfen.
Koranverbrennungen verstimmen die Türkei
Es folgte ein Arbeitstreffen nach dem anderen - mal in Ankara, mal in Helsinki oder Stockholm. Die nordischen Länder betonten ihre Fortschritte, der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan jedoch zeigte sich monatelang wenig beeindruckt: "Schweden gibt kein gutes Bild ab. Die Haltung der Türkei ist klar, sie sollten darüber nachdenken."
Schweden passte seine Anti-Terrorgesetze an, mit denen man die Türkei locken wollte. Doch dann passierte aus der Perspektive schwedischer NATO-Verhandler der GAU: Koranverbrennungen im Land, über viele Monate hinweg und auch vor der türkischen Botschaft.
Sommer 2023: Türkei deutet Abstimmung an
Im April 2023 trat Finnland alleine der NATO bei und das machte Schwedens Verhandlungsposition nicht besser. Doch dann gab es plötzlich einen Lichtblick. Am Abend vor Beginn des NATO-Gipfels in Vilnius im Sommer 2023 stieg weißer Rauch auf. Zumindest dachten das damals die Schweden und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Ich bin glücklich sagen zu können, dass Präsident Erdogan den schwedischen NATO-Antrag so schnell wie möglich ins Parlament einbringen möchte."
"So schnell wie möglich": Diese Formulierung enthält einen gewissen Interpretationsspielraum, mussten die Schweden in den kommenden Wochen und Monaten lernen. Währenddessen hetzten Rechtsextreme weiter gegen den Islam und zündelten an der Heiligen Schrift, fast alles gedeckt von einem weitreichenden schwedischen Meinungsfreiheitsgesetz. Der Ärger war nicht nur in der Türkei, sondern in der gesamten islamischen Welt groß und die Proteste heftig.
"In der Nacht wurde die schwedische Botschaft im Irak gestürmt und angezündet - als Reaktion auf eine angekündigte Koranverbrennung heute vor der irakischen Botschaft in Stockholm" - lauteten die Nachrichten am 20. Juli 2023.
Januar 2024: Endlich grünes Licht aus Ankara
Schwedens Verhandlungsposition wurde also nicht besser. Und gleichzeitig ahnte man in Stockholm, dass man selbst vielleicht gar nicht das größte Problem der Türkei ist. Denn Ankara wollte die Ratifizierung offenbar mit einem anderen Thema verknüpfen: dem Kauf von F-16-Kampfjets aus den USA.
Kurz nachdem Ankara im Januar schließlich doch "Ja" zum NATO-Beitritt Schwedens sagte, folgte die Meldung aus Washington: Die US-amerikanische Regierung sei bereit, dem Verkauf zuzustimmen.
Februar 2024: Ende von Schwedens NATO-Odyssee in Sicht
Doch das Theater um Schwedens Beitritt war immer noch nicht zu Ende. Es fehlte noch die letzte Ratifizierung aus Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orban forderte auf einmal Gespräche mit dem schwedischen Ministerpräsidenten, dann erst würde das Parlament dem Beitritt zustimmen.
Schweden zeigte sich irritiert und betonte zunächst, dass es keinen Anlass für Gespräche gebe. Doch nach etwas Hin und Her besuchte Kristersson am vergangenen Freitag Budapest. Und heute soll die knapp zweijährige NATO-Beitritssodyssee endlich ein aus Sicht der schwedischen Regierung positives Ende nehmen.