Altersversorgung Schweiz stimmt über 13. Monatsrente ab
Die Schweiz gilt als reiches Land, dennoch leben etwa 15 Prozent der Rentner unter der Armutsgrenze. Dem will eine Initiative entgegenwirken - mit einer 13. Monatsrente. Unter anderem darüber wird heute abgestimmt.
Das Wartezimmer ist voll in der Genfer Beratungsstelle von "Pro Senectute". Die Organisation setzt sich in der Schweiz für das Wohl und die Rechte älterer Menschen ein. Für Leute wie José. Seit drei Jahren ist er Rentner und will sich nun über zusätzliche Hilfen informieren, erklärt er. "Ich habe mein ganzes Leben in der Schweiz gearbeitet, bei Versicherungen und in der Immobilienbranche. Aber meine kleine Rente reicht nicht. In Genf ist das unmöglich."
Nach der offiziellen Armutsstatistik leben 15 Prozent der Schweizer Rentnerinnen und Rentner unter der Armutsgrenze. Im Kanton Genf gilt das sogar für ein Viertel der über 65-Jährigen, so Joel Goldstein, Direktor von "Pro Senectute Genf". "Die Genfer Mieten sind extrem hoch. Dazu kommt die Inflation, gestiegene Krankenkassenbeiträge, Energie- und Lebensmittelpreise. Das hat viele Menschen in große Schwierigkeiten gebracht."
Gewerkschaften fordern 13. Monatsrente
Auf Initiative des Schweizer Gewerkschaftsbundes stimmt das Land nun an diesem Sonntag ab: Unter dem Motto "Für ein besseres Leben im Alter" geht es bei dem Volksentscheid um eine 13. Monatsrente. Die sogenannte AHV-Rente - die "erste Säule" der Altersversorgung in der Schweiz und eine Art Grundrente von derzeit maximal 2.450 Franken - würde damit auf einen Schlag um 8,3 Prozent erhöht.
Schweizer Regierung und Parlament haben die Ablehnung der Volksinitiative empfohlen, ebenso der Präsident des Wirtschaftsverbands economiesuisse, Christoph Mäder: "Die Gewerkschaftsinitiative kostet uns Milliarden. Und das wiederum schmälert die Kaufkraft von uns allen. Das gilt es zu verhindern."
Umfragen sehen Mehrheit bei Befürwortern
Abgesehen von den Sozialdemokraten und den Grünen fordern alle Parteien ein Nein bei der Volksabstimmung, allen voran die wählerstärkste Partei, die SVP. Auch wenn er als Renter "gern eine 13., warum nicht auch 14. oder 15. Monatsrente hätte", polterte ironisch der SVP-Altstar Milliardär Christoph Blocher.
Doch obwohl nicht klar ist, wie die Rentenerhöhung finanziert werden soll, könnte eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer - laut Umfragen bis zu 59 Prozent - dafür stimmen. Im besonders von Altersarmut betroffenen Genf hat sich entgegen der nationalen Parteilinie sogar der SVP-Ortsverband dem Ja-Lager angeschlossen. Im Tessin wollen nach Umfragen über 80 Prozent für die 13. Monatsrente stimmen.
In der traditionell liberalen Schweiz ist so viel Zustimmung zu einer Stärkung des Sozialstaats ungewöhnlich. Nicht allein die tatsächliche Not vieler älterer Menschen erkläre die sozialpolitische Kehrtwende, meinte im Sender SRF die Politikwissenschaftlerin Martina Mousson. Hinzugekommen sei, dass im Rahmen der Banken- und der Corona-Krise große Beträge der Wirtschaft zugesprochen worden seien. "Und die Bürgerinnen und Bürger des Landes sagen, jetzt sind wir mal dran."
So ähnlich sieht es auch Brigitte, die bei "Pro Senectute" in Genf auf ihren Beratungstermin wartet. Sie ist 77, hat ein langes Arbeitsleben als Bedienung in Cafés und Restaurants hinter sich und bereits per Briefwahl abgestimmt - mit Ja für die 13. Monatsrente. "Es ist wichtig, dass die kleinen Leute wählen gehen. Damit wir uns auch mal was gönnen können. Wer immer nur gearbeitet hat, hat doch das Recht, jetzt auch mal ein bisschen zu profitieren."
Erhöhung des Rentenalters wohl ohne Chance
Ob tatsächlich eine Mehrheit in der Schweiz für die Rentenerhöhung zusammenkommt, ist ungewiss. Letzte Umfragen deuten auf ein knappes Ergebnis hin. Als ziemlich sicher chancenlos gilt dagegen eine zweite Renteninitiative, über die ebenfalls an diesem Sonntag abgestimmt wird. Forderung: Eine Erhöhung nicht der Rente, sondern des Rentenalters. Dazu sagen laut Umfragen über 60 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten klar Nein.