Nach gescheitertem Abkommen EU und Schweiz verhandeln wieder
Vor drei Jahren ließ die Schweiz Verhandlungen mit der EU platzen. Nun startet ein neuer Versuch - mit Entgegenkommen aus Brüssel. Ein flammendes Bekenntnis zur wichtigsten Handelspartnerin ist dennoch nicht zu erwarten.
Es ist ein neuer Versuch. Ab heute wird wieder offiziell verhandelt zwischen der Europäischen Union und der Schweiz, die zwar mitten in Europa liegt, aber kein Mitglied ist - weder in der EU noch im EWR, dem Europäischen Wirtschaftsraum. Die Schweiz, deren mit Abstand wichtigster Handelspartner aber die Europäische Union ist, und die laut einer Bertelsmann-Studie von 2019 wie kein anderes Land vom EU-Binnenmarkt profitiert.
Nun also will die Regierung das Verhältnis zur EU weiterentwickeln, so der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis: "In einer zunehmend instabilen Welt ist es entscheidend, stabile und sichere Beziehungen mit den Nachbarländern zu haben." Noch nicht einmal drei Jahre ist es her, da hatte Bern ein ganz anderes Signal nach Brüssel gesendet.
Knall auf Fall ließ die Schweizer Regierung damals ein zuvor jahrelang ausgehandeltes institutionelles Rahmenabkommen platzen. Es sollte übergreifende Regeln festschreiben für die über 100 bilateralen Verträge zwischen EU und Schweiz.
In Brüssel war man über den Schweizer Ausstieg ziemlich verärgert und hat seither auf neue Verträge mit der Schweiz verzichtet - bestehende wurden nicht mehr aktualisiert. Unter anderem flog die Schweiz aus dem wichtigen Forschungsprogramm "Horizon Europe". Kein guter Zustand, weder für die Schweiz noch für die EU. Und so bewegte man sich nach monatelanger Eiszeit wieder aufeinander zu.
EU kommt der Schweiz entgegen
Von einem Rahmenabkommen ist nun nicht mehr die Rede - die EU hat sich darauf eingelassen, die übergreifenden Regeln in die einzelnen Abkommen zum Binnenmarktzugang der Schweiz aufzunehmen. Auch neue sollen dazukommen, etwa ein Stromabkommen.
Christa Tobler, Professorin für Europarecht an der Uni Basel findet, die EU sei der Schweiz deutlich entgegengekommen. Sie sei recht optimistisch, dass in den Verhandlungen ein eindeutiges Ergebnis erzielt wird: "Ich gehe eigentlich auch davon aus, dass sich dann die Bundesregierung dahinter stellen kann. Was wir weniger sicher wissen, ist, wie sich dann das Parlament dazu stellt."
Was schon jetzt sicher ist: Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) torpediert die Verhandlungen und bereitet sich bereits lautstark vor auf die Volksabstimmung, die schlussendlich über Top oder Flop entscheiden wird - wie auch immer das Ergebnis der Verhandlungen aussehen wird.
Vor dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel wird die Schweiz willkommen geheißen.
Rechtspopulisten ausdrücklich gegen Verhandlungen
Der Fraktionsvorsitzende Thomas Aeschi erklärte, die SVP habe den Abstimmungskampf eröffnet "gegen die institutionelle Unterwerfung unter die Europäische Union. Es wird die wichtigste Abstimmung in diesem Jahrhundert für die Schweiz sein". Wenn das Schweizer Volk hier zustimmen sollte, gäbe es seine Freiheit und seine Selbstbestimmung auf.
Die Nationalkonservativen wettern vor allem gegen die - wie sie sagen - "fremden Richter", sprich: die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Als Teilnehmerin am EU-Binnenmarkt soll die Schweiz Änderungen im EU-Recht übernehmen. So will es die EU. Bei Streitigkeiten soll es ein Schiedsgericht geben, in dem die Schweiz und die EU vertreten sind, das sich aber gegebenenfalls auf die EuGH-Rechtsprechung beziehen wird.
Angst vor Lohndumping in der Schweiz
"Ich hoffe, wir finden eine Lösung für die dynamische Rechtsübernahme", sagt Cédric Wermuth, Co-Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP). Er fürchtet aber - wie auch die Gewerkschaften - die Gefahr von Lohndumping und dass der Lohnschutz, der gut funktioniere und effizient sei, in Teilen in Frage gestellt würde. "Wir können keine Europapolitik machen, wenn die Menschen nicht sicher sind, dass ihr Lohnniveau geschützt wird. Und das ist massiv höher als in den umliegenden Staaten."
Außer der nationalkonservativen SVP betonen zwar alle Schweizer Parteien, dass sie die neuen Verhandlungen mit der EU "begrüßen" - aber es ist eben meist nur ein laues "Ja, aber". Ein Fehler, meint Europarechtlerin Tobler: "Eine Einigung zu finden, würde auch helfen, das momentane Niveau des Wohlstandes zu sichern, das wir haben. Denn wir verdanken die jetzige gute Situation eben zu einem sehr großen Teil den guten Beziehungen mit unserer größten Nachbarin." Es sei unverzichtbar, voranzuschreiten, da man umgeben sei von der EU und vom Europäischen Wirtschaftsraum.