Waffen für die Ukraine Die Schweizer Neutralität bröckelt
Das Neutralitätsprinzip verbietet es der Schweiz, Waffen und Munition in die Ukraine zu liefern. Auch dürfen andere Länder in der Schweiz gekaufte Waffen nicht weitergeben. Nun wächst der Druck auf die Regierung, die Vorgaben zu lockern.
"Die Schweiz in der Neutralitätsfalle" - so titelte kürzlich die "Neue Zürcher Zeitung". Das Online-Medium "Watson" nannte die Neutralität einen "Klotz am Bein" der Schweiz. Beim Sender SRF hieß es knapp: Streitpunkt Neutralität. Es geht um nicht weniger als den traditionellen Grundpfeiler der Schweizer Außenpolitik - und darum, ob und wie das neutrale Land nicht vielleicht doch zulassen könnte, was Deutschland, Dänemark und Spanien fordern: nämlich in der Schweiz gekaufte Munition und Waffen an die Ukraine weitergeben zu dürfen.
Maya Riniker ist FDP-Abgeordnete im Schweizer Parlament und dort Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission. Sie meint: "Wir sind ein neutrales Land. Wir werden nie eine Kriegspartei unterstützen, das ist ganz klar. Aber dass wir im Rahmen der uns gesetzten Möglichkeiten jede Option prüfen, die wir ergreifen könnten, um hier Hilfe zu bieten - das sind nun die Herausforderungen, die wir unbedingt anpacken müssen."
Regierung soll Vorschriften lockern
Die sicherheitspolitischen Ausschüsse beider Parlamentskammern haben nun empfohlen, die strengen Schweizer Vorschriften zu lockern. Die Vorschläge reichen von einer "Lex Ukraine", die Waffen- und Munitionsweitergabe sofort ermöglichen würde, bis zu einer verkürzten Geltungsdauer der "Nichtwiederausfuhr-Erklärung", die andere Länder beim Waffenkauf in der Schweiz unterschreiben müssen.
Nach bald einem Jahr russischem Angriffskrieg in der Ukraine hätten viele Schweizer Politikerinnen und Politiker begriffen, dass das neutrale Land als demokratischer Rechtsstaat nicht im luftleeren Raum existiert, sagt der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Genf, Olaf Wientzek.
"Es ist am Ende auch im Interesse der Schweiz, dass um sie herum die Werte Demokratie, Achtung des Völkerrechts und Rechtsstaatlichkeit genauso gelebt werden. Und wenn, wie im Falle Russlands, ein Staat massiv gegen all diese Prinzipien verstößt und ein anderes Land völlig unprovoziert angreift, dann werden genau diese Werte auch beschädigt. Damit ist es auch im Interesse der Schweiz, dass Russland damit keinen Erfolg hat", sagt Wientzek. Und sich die Ukraine folglich auch mit Schweizer Waffen und Munition verteidigen können muss.
Rüstungsindustrie beklagt fehlende Exporte
Dass sich die Ukraine folglich auch mit Schweizer Waffen und Munition verteidigen können muss, sehen auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger so. Nach einer aktuellen Meinungsumfrage sind 55 Prozent für die Wiederausfuhr von Waffen in die Ukraine. Auch die Rüstungsindustrie macht Druck.
Die Not sei riesig. "Es geht um die Existenzgrundlage", sagte Matthias Zoller, Generalsekretär des Metall- und Maschinenverbands SwissMem, dem Sender SRF. Den Schweizer Rüstungskonzernen breche das Exportgeschäft weg, sagt Zoller. Unter anderem Deutschland hat angekündigt, wegen der Schweizer Weigerung in Sachen Munitionsweitergabe künftig anderswo einzukaufen.
"Neutralitätsinitiative" der Schweizer Volkspartei
Die Hilferufe der heimischen Rüstungskonzerne beschleunigen die politischen Debatten über Sinn und Zweck der Schweizer Neutralität. "Schauen Sie, wir haben eine bewaffnete Neutralität in der Schweiz. Wir müssen auch unsere Bevölkerung schützen. Da braucht es eine Rüstungsindustrie, und dann dürfen wir auch für andere Staaten produzieren, welche sehr, sehr wohl auf unsere guten Produkte angewiesen sind", sagt FDP-Politikerin Riniker.
Es sind also sehr unterschiedliche Interessen und Motive, die nun möglicherweise zu einer Neuinterpretation der Schweizer Neutralität führen werden.
Die Debatte wird allerdings auch von der anderen Seite befeuert. Christoph Blocher, Ex-Chef der rechten Schweizerischen Volkspartei SVP, hat eine "Neutralitätsinitiative" lanciert. Mit einer Volksabstimmung will er "den Weg zurück" - zur, wie es heißt, "immerwährenden umfassenden und bewaffneten Schweizer Neutralität".