Von 32 Rudeln Schweiz gibt zwölf Wolfsrudel zum Abschuss frei
In der Schweiz leben 32 Wolfsrudel. Mehr als jedes dritte ist ab heute zum Abschuss freigegeben. Tierschützer üben scharfe Kritik - und Experten bezweifeln, dass die Maßnahme das Problem lösen kann.
Der Schweizer Umweltminister Albert Rösti fand Anfang November deutliche Worte: "Wenn wir jetzt nicht rasch handeln, geht das Wachstum der Wolfspopulation so weiter, verbunden mit untragbaren Schäden und Verlusten ganzer Zuchtfamilien von Nutztieren." Jetzt ist es so weit: Wölfe dürfen in der Schweiz auch präventiv getötet werden - und zwar komplette Rudel. Zwölf der insgesamt 32 Wolfsrudel im Land sind zum Abschuss freigegeben.
Fast 1500 Nutztiere wurden 2022 in der Schweiz von Wölfen gerissen. Eine schwere Belastung für Landwirtinnen wie Eliane Kreuzer im Kanton Wallis, die in einem Sommer 80 Schafe verlor. "Das ist wie Krieg, also das ist schlimm. Die haben die Luftröhre zerbissen, die Kehle durchgebissen, oder der Kiefer hängt runter. Es liegen überall verletzte oder tote Lämmer herum, das sind ganz schlimme Bilder, die vergisst man nie mehr."
Kritik von Fachleuten
Auch Christina Steiner, Präsidentin der Tierschutzorganisation CH Wolf sagt, es sei "kein schöner Anblick, wenn man zur Herde kommt und tote Tiere oder verletzte Tiere da liegen, das ist ganz klar". Nun aber sei ein "regelrechtes Wolfsmassaker" programmiert, kritisiert sie und bezweifelt, dass durch den Abschuss ganzer Wolfsrudel die Nutztiere im Land besser geschützt wären.
Stabile Rudel würden in der Regel viel weniger Schäden als Einzeltiere und vor allem Jungwölfe, die noch nicht erfahren sind in der Jagd. Denn diese seien auf einfache Beute angewiesen - und das sei ein großes Problem. "Wenn alle haben das Gefühl: 'Es werden ja die Wölfe geschossen, ich muss also keinen Herdenschutz mehr machen', dann wird kein Alp-Bewirtschafter neu mit Herdenschutz beginnen."
Zahl der Risse um fast ein Drittel gesunken
Obwohl es immer mehr Wölfe in der Schweiz gibt, hat laut der Organisation CH Wolf die Zahl der gerissenen Nutztiere abgenommen - durch verbesserten Herdenschutz mit speziell ausgebildeten Hunden und elektrischen Zäunen. "Dieses Jahr haben wir in der gesamten Schweiz 29 Prozent weniger Risse gehabt dank besserem Herdenschutz. Im Kanton Graubünden gab es sogar 50 Prozent weniger Risse dieses Jahr. Und im Kanton Glarus gab es über 85 Prozent weniger Risse."
Die Schweizer Abschusspolitik sei ein Verstoß gegen die Berner Konvention - einem völkerrechtlichen Vertrag zum Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere, sagen Tierschutzorganisationen und haben Beschwerde eingelegt beim Europarat. Hinter der Jagd auf die Wölfe stünden vor allem parteipolitische Interessen des Schweizer Umweltministers, dessen SVP die Parlamentswahlen Ende Oktober gewonnen hatte, meint Susanne Clauss von der Organisation Avenir Loup Lynx Jura: "Das ist Wahlpolitik für die rechtskonservative SVP, um die Wahlen zu gewinnen. Wir sind schockiert über einen solchen Entscheid, der uns eigentlich um Jahrzehnte zurückwirft in Bezug auf Herdenschutz, in Bezug auf Kohabitation mit großen Raubtieren in der Schweiz."
Junge Wölfe nehmen Platz von Rudeln ein
Fraglich ist auch, ob die Regulierung des Schweizer Wolfbestands durch den Abschuss von zwölf Wolfsrudeln überhaupt möglich ist. Denn abgesehen davon, dass die Jagd auf Wölfe gerade jetzt im Winter sehr schwierig ist, schafft die Auslöschung eines Rudels Lebensraum für andere Wölfe. Urs Büchler, Präsident des Schweizerischen Wildhüterverbands: "Dann kann es sein, dass dieses Gebiet aufgefüllt wird durch junge Wölfe, die auf der Suche nach neuen Revieren sind. Und solche haben wir innerhalb der Schweiz, aber auch außerhalb der Schweiz. Es gibt unzählige Nachweise von Wölfen aus Deutschland, aus Italien, aus Frankreich, die in die Schweiz einwandern."
Es gebe auch Wölfe, die aus der Schweiz ins Ausland abwandern, die Dynamik sei sehr groß. "Mit Sicherheit werden Lücken, die wir durch die Abschüsse schaffen, aufgefüllt", ist der Wildtierexperte sich sicher.
Wölfe scheren sich nicht um Staatsgrenzen - manchmal wandern sie Tausende Kilometer weit. Der italienische Wolfsforscher Luigi Boitani sagte im Sender SRF, die Abschüsse, die die Schweiz jetzt vornimmt, müssten deshalb jedes Jahr wiederholt werden.