Selenskyj fünf Jahre im Amt "Er wurde ein Präsident des Krieges"
In sein Amt kam Ukraines Präsident Selenskyj als Außenseiter, der viele Reformen versprach. Geblieben davon ist nach fünf Jahren wenig. Doch noch genießt Selenskyj großen Rückhalt - trotz wachsender Probleme.
Im September 2016 führt Russland seit zwei Jahren Krieg in der Ostukraine, und Wolodymyr Selenskyj steht auf einer Bühne in Lettland. Er parodiert Petro Poroschenko, den damaligen Präsidenten der Ukraine. Poroschenko habe jetzt neue Wirtschaftsstrategie, amüsiert sich Selenskyj, und die nenne sich betteln: "Es ist ganz einfach: Wir betteln um die Gewinne unserer Nachbarländer. Sie geben uns ihr Geld und wir geben es ihnen nicht zurück - mit 100 Prozent Garantie."
Witze wie diese gibt es von Selenskyj unzählige. Es sind Witze über die ukrainische Politik, die wirtschaftliche Lage des Landes oder die Zukunft der Ukraine, die heute wehtun. Doch es sind Witze, die den erfolgreichen TV-Produzenten und Komiker berühmt machen und so auch seinen Weg in die Politik ebnen.
Für die meisten Ukrainer sei Selenskyj damals jemand gewesen, mit dem sie sehr viel Zeit verbracht hätten, sagt Sergei Rudenko, ukrainischer Journalist und Selenskyj-Biograf: "In der Küche lief der Fernseher, und da war Selenskyj. Die Ukrainer hatten das Gefühl, dass Selenskyj ein Teil ihrer großen Familie ist" - ganz nach dem Wunsch derjenigen, die Selenskyj zum Präsidenten machen wollten, glaubt Rudenko. So sei das Gefühl entstanden, "dass Selenskyj genauso ist wie du und ich".
Am Tag seiner Amtseinführung 2019 war Selenskyj zu scherzhaften Gesten aufgelegt. Inzwischen steht das Land durch Russlands Angriffskrieg am Abgrund.
Überraschung in der Neujahrsnacht
Rudenko erinnert sich: Er habe es zunächst für einen Witz gehalten, als der Fernsehstar Selenskyj 2018 überraschend in der Silvestershow seines Comedy-Ensembles "Quartal 95" in einer Neujahrsansprache seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gab. Und so sei es wohl Millionen Zuschauern gegangen.
Es folgte ein ungewöhnlicher Wahlkampf, der seinen Höhepunkt in einer Kandidatendebatte im Stadion von Dynamo Kiew fand. Selenskyj attackierte Präsident Poroschenko, indem er sich als Außenseiter anpries: Er sei "kein Politiker, überhaupt kein Politiker", sondern ein "einfacher Mensch", der gekommen sei, "um dieses System zu zerstören". Und an Poroschenko gewandt betonte er: "Ich bin das Ergebnis Ihrer Fehler und gebrochenen Versprechen."
Selenskyj hat 2018 große Ambitionen. Er will den Krieg in der Ostukraine, im Donbass beenden, die Korruption bekämpfen, die Renten erhöhen. Er stellt damit Forderungen, wie sie damals wohl jeder Ukrainer gestellt hätte. Selenskyj habe im wesentlichen auf "gewöhnlichen Populismus" gesetzt, sagt Rudenko: "Es waren populistische Slogans, die weder durch ein Programm noch durch eine Strategie oder Person, die diese umsetzen konnten, gestützt wurden." Selenskyjs Team habe damals das Problem gehabt, "dass sie gute Absichten hatten, aber keine Leute, die sie umsetzen konnten".
Unerfüllte Versprechen
Dass Selenskyj kaum eines seiner populistischen Versprechen erfüllen konnte, ist im Krieg zur Nebensache geworden. Selenskyj ist er nach wie vor sehr beliebt in der Bevölkerung, genießt großes Vertrauen. Viele rechnen es ihrem Präsidenten hoch an, dass er das Land zu Beginn des russischen Angriffskrieges nicht im Stich gelassen hat.
Zwei Jahre später aber ist die Lage im Land schwierig. Die Menschen sind müde, die Armee unterbesetzt. Gerade in der Debatte um die Mobilisierung neuer Soldaten werfen Kritiker Selenskyj Führungsschwäche vor. Der Kiewer Politologe Olexij Haran stellt fest, Selenskyj habe dabei versucht, Distanz zwischen sich und einer unpopulären Entscheidung einzulegen und versucht, die Verantwortung dafür allein auf seine Fraktion zu schieben. "Das ist ein Beispiel für falsche Kommunikation, was seltsam ist, denn er ist ein Kommunikator."
Fünf Jahre ist Präsident Selenskyj im Amt. Zwei Jahre davon muss er sich mit seinem ein Land gegen eine Invasion behaupten. Immer wieder weist er inzwischen auch auf die schwierige Situation an der Front hin. Rudenko sagt dazu: "Selenskyj wollte ein Präsident des Friedens werden und wurde ein Präsident des Krieges."