Klimawandel in den Alpen Ski-Weltcup in Sölden auf Kosten der Natur?
Am Wochenende finden in Sölden die ersten Skirennen der Saison statt. Doch der Weltcup-Auftakt ist im Tiroler Ort heftig umstritten - auch Sportler protestieren. Denn der Gletscher wurde extra mit Baggern bearbeitet.
"Vom Gletscher sieht man auch nicht mehr allzu viel. Das wird wahrscheinlich auch nicht mehr ewig da sein", sagt Gerd Estermann. Er steht auf knapp 3.000 Meter Höhe über dem Rettenbachferner, einem der Gletscher über Sölden im Tiroler Ötztal. Seit Wochen ist der Ort in Aufruhr - seit im September Bagger anrückten, um den Gletscher für die Weltcup-Abfahrt zu präparieren.
Bei sommerlichen Temperaturen wurde die Gletscherkante abgehobelt und Kunstschnee aus dem letzten Jahr unterhalb des Gletschers auf die Geröllfelder aufgebracht. Estermann ist in einer Bürgerinitiative tätig, die sich für den Naturschutz in Tirol einsetzt. "Man hat immer schon viel machen müssen am Gletscher. Aber den Aufwand, den man jetzt hat, den hat es in der Form nie gegeben", sagt er.
Ski-Star Shiffrin fordert Anpassung an die Natur
Erst seit Freitag ist die Landschaft etwas verschneit. Davor schlängelte sich die Piste wie ein Fremdkörper durch die braun-grüne Szenerie. Estermann ist mit Clemens Matt unterwegs, dem Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins. Der sieht im frühen Weltcup-Auftakt nicht nur ein Naturschutz-Problem. "Aus der Sicht des Tourismus: Sind das wirklich die Bilder, die wir transportieren wollen? Mit einer schneearmen Situation Skirennen durchzuführen."
Matt ist für eine Verschiebung des Weltcup-Auftakts. Solche Forderungen kommen mittlerweile auch aus dem Ski-Zirkus selbst. US-Superstar Mikaela Shiffrin etwa forderte, den Sport der Natur anzupassen - und nicht andersherum. Der österreichische Skirennläufer Julian Schütter macht Werbung für eine Petition, die mehr Klimaschutz im Skisport einfordert.
Auch der Rettenbachferner hat sich durch den Klimawandel weit zurückgezogen. Pisten, die einst auf dem Gletscher lagen, führen heute über Geröll.
Das sind Positionen, die der Kopf des Organisationskomitees des Söldener Rennens Jakob Falkner für Heuchelei hält. "Man war ja ein Nutznießer dieses Systems", sagt er. "Und ich kann nicht über Nacht das umdrehen." Das Komitee werde mit den Skirennläuferinnen und Skirennläufern über das System diskutieren. "Es ist nicht so, dass wir ignorant sind. Aber was auch klar ist, dem Gletscher passiert jetzt nix, weil diese Rennen stattfinden."
"Maßnahmen sind jetzt notwendig"
Der Gletscher ist sowieso nicht mehr zu retten, lautet sein Argument. Auch Falkner ist ein "Nutznießer des Systems". Er ist der Geschäftsführer und Miteigentümer der Bergbahnen Sölden. Falkner ist auch in weiteren Unternehmen der Branche investiert. Außerdem ist er Teil der Tiroler Adlerrunde, eines Wirtschaftsverbands, der der konservativen ÖVP nahesteht.
Die Bilder seien natürlich nicht schön, sagt Falkner. "Aber was mich sehr ärgert, dass man jetzt auf einmal alles auf diesen Skisport, auf dieses Weltcup-Rennen festmacht." Das Komitee würde den Klimawandel ja nicht leugnen. "Wir spüren das ja sehr deutlich, wir sind ja selber Betroffene", stellt er klar. "Aber wir müssen natürlich agieren, um unseren Tourismus, unser Ding weiterzuentwickeln und da sind halt jetzt Maßnahmen notwendig."
Blick vom Rettenbachferner zum Parkplatz an der Gletscherstraße. Für Kritiker eine "Art Industrielandschaft im Hochgebirge".
Widerstand gegen Ausweichplan
Langfristig wünscht sich der Touristiker etwa die Erschließung eines noch intakten, und nicht für den Skisport genutzten, Gletschers im Nachbartal des Rettenbachgletschers. Das ist ein Plan, gegen den die Bürgerinitiative von Gerd Estermann unbedingt ankämpfen will. Auch wenn er nicht grundsätzlich gegen Skisport auf Gletschern ist.
"Aber man wird irgendwann sich überlegen müssen, wie man aus dieser Einbahnstraße herauskommt", kritisiert er. Die ganze Infrastruktur sei eine Art Industrielandschaft im Hochgebirge. "Und das sind Dinge, die kein Tourist sehen will. Ich würde sehr, sehr vorsichtig mit den Resten von Natur umgehen, die wir jetzt noch dahaben."