In der vom Hochwasser betroffenen Stadt Paiporta bei Valencia stehen die Menschen Schlange, um Hilfe zu erhalten.

Flutkatastrophe bei Valencia Warum kam die Warnung erst so spät?

Stand: 01.11.2024 07:33 Uhr

Die Kleinstadt Paiporta wurde von den Fluten besonders hart getroffen. 62 Tote gab es dort - bis jetzt. Warum wurde nicht früher gewarnt? Die Debatte hat inzwischen auch eine politische Dimension.

Von Hans-Günter Kellner, ARD Madrid

Das ganze Ausmaß und der Schrecken der Unwetterkatastrophe in der 25.000-Einwohner-Stadt Paiporta bei Valencia zeigt sich erst, wenn die Sonne wieder scheint: Überall sieht man Schlamm, Schutt, übereinander geworfene Fahrzeuge - wie Spielzeugautos.

Freiwillige versorgen Menschen, die ihre Häuser nicht verlassen können, mit Wasser. Eine Flasche pro Haushalt, sonst reicht es nicht, sagt einer der Helfer.

Das Schlimmste aber: Immer noch werden Leichen gefunden, viele Tote unter den Autos, erzählt eine Frau unter Tränen. Nirgends sind so viele Menschen bei dem Unwetter gestorben wie hier. Bislang habe man 62 Tote geborgen, sagt die Bürgermeisterin von Paiporta, Maribel Albalat. Die Stadt sei völlig überrascht worden:

Niemand hat uns gewarnt. Wir wussten von nichts. In der Innenstadt haben wir viele alte Leute in ihren eingeschossigen Häusern gefunden. Andere haben wir in den Tiefgaragen gefunden. Sie wollten ihre Autos in Sicherheit bringen, aber die Garagen wurden zu einer Falle.

Alarm auf den Handys erst nach 12 Stunden

Klagen, die Behörden hätten viel zu spät gewarnt, werden immer lauter. Der staatliche Wetterdienst hatte am Dienstagmorgen um 07:30 Uhr die Alarmstufe für die Provinz von Orange auf Rot erhöht.

Die Warnungen des Wetterdienstes sind für jeden zugänglich, doch die Regionalregierung aktivierte den Alarm auf allen Handys in der Region erst am Abend - zwölf Stunden später, als die Bäche schon über die Ufer traten.

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Doch Carlos Mazón, der Ministerpräsident der Region Valencia, will diese Debatte jetzt nicht führen:

Ich möchte nicht die schlechte Politik, die schmutzige Politik machen. Das ist jetzt wirklich nicht angemessen. Meine Prinzipien verbieten mir das einfach. Die Professionalität der Warnsysteme ist nun wirklich belegt, besonders auch in diesem Moment.

"Es ist die größte Tragödie in diesem Jahrhundert"

Die Debatte birgt politischen Sprengstoff, denn für den staatlichen Wetterdienst ist die Zentralregierung des Sozialisten Pedro Sánchez zuständig - für den Katastrophenschutz und das Warnsystem für die Mobiltelefone hingegen die konservative Regionalregierung Mazóns.

Der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska sagte dazu im spanischen Rundfunk, alle Protokolle müssten ständig überprüft werden und nach so einer Tragödie erst recht: "Es ist die größte Tragödie in diesem Jahrhundert in unserem Land. Das muss analysiert werden."

Aber jetzt müsse man die Bevölkerung versorgen, die unterschiedlichen Verwaltungen koordinieren, so Grande-Marlaska. "Es wird noch Zeit sein, alles zu überprüfen."

Katastrophenschutz mit wechselnder Zuständigkeit

Doch die Debatte lässt sich nicht mehr aufhalten. Der ehemalige sozialistische Politiker Eduardo Madina - heute Experte in vielen Diskussionssendungen - beklagt, dass wichtige Positionen in Spanien nach einem Regierungswechsel oft neu besetzt würden. Wichtigstes Kriterium dabei sei das Parteibuch. So wie beim Katastrophenschutz nach dem Machtwechsel in Valencia vor einem Jahr:

Können wir uns vorstellen, dass Entscheidungen eine Legislaturperiode überleben? Dass bei einem Machtwechsel nicht immer alles rückgängig gemacht wird? Ich würde mir wünschen, dass es nach dieser enormen Tragödie eine größere Bereitschaft zu einem Konsens gibt. Das wäre wichtig für die Zukunft.

In Paiporta sind gestern Abend auch Einheiten des Militärs eingetroffen. Dutzende Menschen werden dort noch vermisst. 1.700 Soldaten sind in der Region inzwischen im Einsatz.