Sorge vor Staudamm-Sprengung "Wenn sie das tun, gibt es eine Katastrophe"
Die Ukraine befürchtet einen russischen Angriff auf einen Staudamm nahe Cherson. Eine Sprengung könne mehr als 80 Städte überfluten. Aus dem Staudamm erhält zudem das AKW Saporischschja sein Kühlwasser.
Vor dem Hintergrund einer offenbar bevorstehenden Offensive im Süden der Ukraine, wirft die Regierung in Kiew Russland vor, einen Staudamm nördlich der Stadt Cherson zerstören zu wollen. Die russischen Truppen hätten das Wasserkraftwerk Kachowka vermint, um mit einer Flutwelle die ukrainischen Angriffe zu stoppen.
Damit würde Russland mutwillig eine Katastrophe auslösen, sagte Präsident Selenskyj in seiner nächtlichen Videoansprache. "Uns liegen Informationen vor, dass russische Terroristen den Staudamm und Teile des Wasserkraftwerks vermint haben. Das ist eine der größten Energieeinrichtungen des Landes. Der Staudamm fasst 18 Milliarden Kubikmeter Wasser. Wenn der gesprengt wird, werden mehr als 80 Städte einschließlich Cherson überflutet."
Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete.
Staudamm liefert Wasser für AKW Saporischschja
Der Staudamm am Wasserkraftwerk Kachowka liefert auch das Kühlwasser für das weiter nördlich gelegene Atomkraftwerk Saporischschja. Es bestehe die Gefahr einer Katastrophe historischen Ausmaßes, so Selenskyj.
Das Atomkraftwerk Saporischschja hätte kein Kühlwasser mehr und zudem würde die Krim von der Wasserversorgung abgeschnitten, ergänzte Olexij Danilow, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates heute im ukrainischen Radio:
Wenn sie den Kachowka-Staudamm sprengen, ist die Frage der Wasserversorgung der Krim ein für alle Mal erledigt. Es ist nicht möglich, sie in den nächsten fünf bis sieben Jahren wiederherzustellen. Aber hier geht es nicht nur um Infrastruktur zur Energieversorgung, sondern um viel schrecklichere Dinge, denn wenn sie das wirklich machen, gibt es eine Katastrophe riesigen Ausmaßes.
US-Institut warnt vor russischem Ablenkungsmanöver
Das US-Institute for the Study of War warnt in einer Studie davor, dass die russischen Truppen eine sogenannte False-Flag-Operation starten könnten, ein Ablenkungsmanöver für einen möglichen Rückzug aus der Region Cherson. In der Einschätzung wird auf das Interview des Oberbefehlshabers der russischen Truppen in der Ukraine verwiesen.
Im russischen Fernsehen warf General Sergej Surowikin den ukrainischen Streitkräften vor, sie planten die Zerstörung des Staudamms. Man habe Informationen, dass sogar der Einsatz von geächteten Kriegstaktiken geplant sei und ein Raketenangriff auf das Wasserkraftwerk vorbereitet werde. "Sowie Artillerieangriffe auf die Stadt Cherson, ohne Rücksicht auf Verluste."
In zahlreichen Fällen haben die russischen Streitkräfte den ukrainischen genau das vorgeworfen, was sie selbst geplant oder getan hatten.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Erneut Angriffe auf ukrainische Infrastruktur
Seit Tagen fordern die russischen Besatzer die Zivilbevölkerung in Cherson und Umgebung auf, die Region zu verlassen. Auch die Verwaltungsbehörden der russischen Besatzer sollen auf das östliche Ufer des Dnjepr verlegt werden. Die sogenannte Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Cherson ist nach Einschätzung der Experten des Institute for the Study of War eine Ablenkung vom eigentlichen Rückzug der russischen Truppen aus der Region.
Unterdessen wurden die Angriffe auf ukrainische Infrastruktureinrichtungen im ganzen Land fortgesetzt. So wurden unter anderem die Städte Charkiw im Osten und Saporischschja im Süden von Explosionen erschüttert. In Charkiw sei eine Industrieanlage getroffen worden, hieß es. Details zu den Explosionen in Saporischschja lagen noch nicht vor. Auch in Kiew gab es heute früh wieder Raketenalarm.