"Tag des Sieges" Das etwas andere Gedenken in Russland
Der Gedenkmarsch des "Unsterblichen Regiments" zum 9. Mai war in Russland ursprünglich eine private Initiative. Doch dann setzte sich der Staat an die Spitze des Gedenkens. Und in diesem Jahr? Fällt der Marsch aus.
Am Anfang stand eine Idee. Eine Initiative dreier Freunde in der sibirischen Stadt Tomsk, die jenseits der offiziellen Feierlichkeiten persönliche Erinnerungen an Angehörige, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft und gelitten hatten, wach halten wollten.
"Für mich ist das die Geschichte meines Großvaters Iwan Adamowich Lapenkow, der zwei Kriege überlebt hat und ohne Beine zurückkehrte. Er war ein Oberleutnant der dritten ukrainischen Front, war in der Infanterie, ein 'Held der Sowjetunion'", erzählte Sergej Lapenkow vor einigen Jahren, als niemand auch nur im entferntesten einen Krieg Russlands in der Ukraine für möglich hielt.
Gedenken mit Familienfotos
2012 riefen er und seine Freunde zum ersten Mal zu einer etwas anderen Parade auf. Zum Marsch des Unsterblichen Regiments. Sie forderten die Menschen auf, am 9. Mai, dem "Tag des Sieges" über Hitler-Deutschland mit Familienfotos auf die Straße zu gehen. Es kamen nicht wie erwartet Hunderte, sondern Tausende.
Mit jedem Jahr wurden es mehr. Andere Städte zogen nach. Das gemeinsame, aber trotzdem doch sehr persönliche Erinnern, ohne Vorgaben, ohne Überbau, zog die Menschen an. Es erfüllte sie mit Stolz.
Der Charakter änderte sich
"In den frühen Jahren des Unsterblichen Regiments war die Atmosphäre des 9. Mai in unseren Reihen einzigartig", erinnerte sich Lapenkow. "Dann hat sie sich ein wenig verändert. Falsche Typen mit Fahnen kamen."
Aus der persönlichen Initiative war eine gesellschaftliche Bewegung geworden - zu groß und zu erfolgreich, um sie sich selbst zu überlassen. Strukturen wurden geschaffen, und der behördliche Einfluss wuchs. Der russische Präsident marschierte plötzlich an der Spitze der Bewegung.
"Machtapparat hat Initiative gekapert"
Kritik wurde laut, dass der Machtapparat die Initiative gekapert habe, um sie für patriotische Propagandazwecke zu nutzen. Es gebe selbst heute noch Menschen, die deshalb nicht teilnehmen wollten, empörte sich unlängst der Ko-Vorsitzende des "Zentralstabs der Allrussischen Allgemeinen Zivil-Patriotischen Bewegung des Unsterblichen Regiments", Gennadij Iwanow.
"Bitte sehr, es wird doch kein Mensch merken, dass du nicht mit dabei bist", meint Iwanow, der für sich in Anspruch nimmt, als Erster die Idee zum Marsch gehabt zu haben. "Aber dass dein Großvater nicht dabei ist, der am Krieg teilgenommen hat, das ist bedauerlich. Er wird an diesem Tag nicht in einer Reihe stehen mit seinen Kameraden. Aber das musst du mit deinem Gewissen ausmachen."
Kein Gedenken an in der Ukraine Gefallene
Die Entwicklung im vergangenen Jahr haben den Charakter des Marsches noch einmal verändert. Im vergangenen Jahr waren vereinzelt auch Fotos von Menschen zu sehen, die während der sogenannten militärischen Spezialoperation in der Ukraine gefallen sind. Im Kampf gegen Neonazis - wie es bei den Veranstaltern heißt.
In diesem Jahr wären angesichts der Verluste in der Ukraine vermutlich deutlich mehr solcher Fotos zu sehen gewesen. Doch die Märsche werden nicht stattfinden.
Stattdessen, so die Ko-Vorsitzende des Zentralstabs der Bewegung, Jelena Zunajewa, sollen die Leute Fotos ihrer Angehörigen in Autofenster kleben. Oder sich an die Kleidung heften. "Aus Sicherheitsgründen", so die Erklärung.