Slowakei und Tschechien Stolz nach 30 Jahren Trennung
Vor 30 Jahren zerfiel die Tschechoslowakei in zwei Staaten, angetrieben von nationalistischen Politikern. Heute überwiegt der Stolz auf die friedliche Trennung - und den Erfolg beider Länder seitdem.
Die Grenze verläuft gleich hinter seinen Wiesen. Der tschechische Öko-Landwirt Petr Staňo hält Schafe und Ziegen im Dreiländereck zu Polen und der Slowakei. Er selbst hat die Grenzen aber längst überwunden.
Am Nachmittag tauscht er Latzhose gegen Anzug, und aus dem tschechischen Bauern wird ein slowakischer Bürgermeister. Staňo führt das Rathaus in der Nachbargemeinde Čierne. Die doppelte Staatsbürgerschaft macht es möglich. Ein echter Grenzgänger - über eine Grenze, die er nie wollte.
Tschecho-slowakische Teilung ohne Mehrheit
Es seien die Politiker gewesen, die das Land geteilt haben, sagt Staňo, nicht die Menschen. Die slowakischen Nationalisten unter dem Brachial-Demagogen Vladimír Mečiar hatten nach der Revolution die Gelegenheit gewittert, erstmals in der Geschichte eine echte Eigenstaatlichkeit für die Slowakei zu erreichen und die Dominanz der tschechischen Mehrheit abzuschütteln.
In der tschechischen Politik waren wiederum viele froh, beim Start in die kapitalistischen 1990er-Jahre den armen und deutlich weniger entwickelten Bruder im Osten loszuwerden. Ein Referendum über die Teilung gab aber es nicht, und aus gutem Grund: In der Bevölkerung hätte die Aufspaltung der Tschechoslowakei wohl keine Mehrheit gefunden.
Die doppelte Staatsbürgerschaft macht es möglich: Petr Staňo lebt in Tschechien und ist Bürgermeister in der Slowakei.
"Viel Geld und Kraft gekostet"
Die Leidtragenden waren Menschen wie Staňo. Die neue Grenze ging nicht selten quer durch Familien. Viele wurden in der eigenen Heimat zu Ausländern, tägliche Wege führten plötzlich über Staatsgrenzen.
Vielleicht sei der Zerfall der Tschechoslowakei ja tatsächlich unausweichlich gewesen, sagt Staňo heute, doch die Teilung der Institutionen habe viel Geld und Kraft erfordert, die man besser in die Modernisierung des Landes gesteckt hätte.
Ein Grenzgänger in jeder Hinsicht: Kurz hinter dem Haus von Petr Staňo steht der Pfahl, der die Nahtstelle zwischen Tschechien und der Slowakei markiert.
Stolz auf friedliche Trennung
Doch es gibt auch Stolz - etwa darauf, dass sich Tschechen und Slowaken als Freunde friedlich und geordnet getrennt haben. Keineswegs selbstverständlich angesichts der blutigen Exzesse, die zeitgleich das damalige Jugoslawien erschütterten.
Auch Tschechiens Premier Petr Fiala und sein slowakischer Amtskollege Eduard Heger ziehen heute eine positive Bilanz der Teilung. Der Weg sei dornig gewesen, so Heger, doch die Slowakei habe es geschafft, sich auf eigene Beine zu stellen. Fiala strich heraus, dass eine Teilung zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise weit schmerzhafter verlaufen wäre.
Erfolgsgeschichte für beide Länder
Denn was nach der Teilung kam, war für beide der neuen Republiken eine Erfolgsgeschichte. Der Lebensstandard ist in den zurückliegenden drei Jahrzenten stark gestiegen. Das Bruttoinlandsprodukt und auch die Löhne haben sich in beiden Ländern seit der Teilung nahezu versiebenfacht. Das Umland von Prag gehört zu den wirtschaftlich stärksten Regionen der EU; die Slowakei ist - auf die Bevölkerungsgröße gerechnet - zum weltgrößten Autobauer aufgestiegen.
Zugleich konnten beide Länder ihren eigenen Weg gehen. Die Tschechen hängen an ihrer 1993 eingeführten Tschechischen Krone, in der Slowakei zahlt man seit 2009 mit den Euro.
Weniger Reibungsflächen
Dass man keine Kompromisse mehr mit dem tschechoslowakischen Brudervolk schließen muss, hat die Reibungsflächen genommen. Die Teilung selber und auch den 30. Jahrestag sehen die meisten Tschechen und Slowaken ohne Emotionen. Nach drei Jahrzehnten überwiegt aber das Versöhnliche.
Doch es gibt auch ein wenig Neid zwischen den Ländern. Die Slowaken beneiden die Tschechen um die aktuell relativ stabilen Regierungsverhältnisse. Im Gegenzug, meint so mancher in Tschechien, hätten die Slowaken mit Zuzana Čaputová eine wesentlich manierlichere Präsidentin, anders als Milos Zeman, der Tschechien repräsentiert.
EU-Beitritt führte wieder zusammen
Seit 2004 sind Tschechien und die Slowakei zusammen mit dem dritten Nachbarn Polen in der EU vereint. Der gemeinsame Beitritt der drei Länder zum Schengen-Raum vor fast genau 15 Jahren hat die Grenze wieder zu dem gemacht, was sie innerhalb der Tschechoslowakei war: eine imaginäre Linie auf der Landkarte, die verbindet und nicht trennt.
Wenn Petr Staňo heute auf seiner Wiese am tschecho-slowakischen Grenzbach steht, dann schaut er auf eine neue Brücke. Die tiefe Bachschlucht zum Nachbarn ist heute wieder ganz einfach zu überschreiten.
Doch ironischerweise war es gerade die tschechoslowakische Teilung, die an Staňos Ziegenwiese das Dreiländereck entstehen ließ. Eine Touristenattraktion mit Kiosken, Pavillons und Gedenksteinen auf allen Seiten. Auch das nahe Hoflädchen von Staňo lebt von diesen Ausflüglern an eine Grenze, die Staňo nie wollte und immer noch schmerzt.