60 Jahre Anwerbeabkommen "Deutschländer" zwischen zwei Staaten
Zwischen 1961 und 1973 zogen 867.000 türkische Arbeitnehmer nach Deutschland. Manche holten ihre Familien nach, andere gingen zurück. Fühlen die Rückkehrer-Generation und ihre Kinder sich in der Türkei zu Hause?
Für Dilara Aslan aus Ankara war die Rückkehr in die Türkei ursprünglich keine freiwillige Entscheidung. "Ich war in der 7. Klasse, als meine Eltern uns Kindern sagten, dass wir in die Türkei zurückkehren", erinnert sie sich. Damals kannte sie das Land nur aus Ferienaufenthalten: "Zusammen mit meinen Cousinen hatte ich dort immer eine schöne Zeit gehabt. Darum hatte ich auch nichts gegen eine Rückkehr. Aber klar: Ein bisschen traurig war ich schon."
Bis dahin hatte die heute 26-Jährige mit ihrer Familie in Hamburg gelebt. Der Großvater kam als einer der letzten angeworbenen "Gastarbeiter" 1972 zum Arbeiten nach Deutschland. Er holte wenig später die Kinder nach, darunter Dilaras Vater. Für Dilara etwas Besonderes, denn: Ihr Vater war bei seiner Ankunft in Deutschland 14 Jahre - genau so alt wie sie bei ihrer Ankunft in der Türkei.
Während der Vater Yücel Aslan in Deutschland mit Sprachproblemen zu kämpfen hatte und erst wenig Anschluss fand, war es für Dilara viel einfacher in der Türkei: Sie konnte Türkisch sprechen und sich darum leichter integrieren, wie sie sagt.
"Deutschländer" zwischen zwei Kulturen
Dass dieser Anschluss nicht allen gelingt, beobachtet auch Prof. Dr. Kemal Demir, Direktor des Zentrums für Deutschlandstudien an der Akdeniz Universität in Antalya. "Es kommt drauf an, in welchem Lebensabschnitt sie zurückgekehrt sind", sagt er. "Ob sie als kleines Kind zurückgekehrt sind, ob sie als Erwachsene zurückgekehrt sind. Wie sehr sie in Deutschland in integriert worden sind, also eine Sozialisation in Deutschland erlebt haben."
Auch Demirs Vater kam 1968 als Gastarbeiter nach Deutschland, in die Nähe von Goslar. Auch wenn Demir in Deutschland zur Schule ging und sich dort wohl fühlte, entschloss er sich irgendwann, in die Türkei zurückzukehren. Die Rückkehrer, aber auch Türken in Deutschland, werden oft abfällig "Almanci" genannt. Eine Bezeichnung für Türkischstämmige aus Deutschland, die so viel bedeutet wie "Deutschländer".
Eine von ihnen ist Yurdagül Ertem. Die 57-jährige Englischlehrerin aus Istanbul lebte lange Jahre mit ihren Eltern - Gastarbeitern der ersten Generation - in Stuttgart, bis sie nach der Heirat in die Türkei zog. Die Autorin für deutsche Lehrbücher hatte und hat selbst immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen. Sie kennt das Gefühl des Nicht-Dazugehörens und beobachtet es auch bei jüngeren Menschen:
"Da sehe ich schon, dass sie nicht so genau wissen, wohin sie gehören. Stellen Sie sich das so vor wie einen See - und Sie schwimmen in der Mitte, aber wissen nicht genau, wohin Sie schwimmen sollen."
"Wir wollen weg, warum bist du hier?"
Wie Yurdagül Ertem und Dilara Aslan geht es vielen Rückkehrerinnen aus Deutschland. Sie fühlen sich von keiner Seite richtig akzeptiert und wollen dennoch dazu gehören. Auf der anderen Seite gebe es auch viel Neid und Unverständnis, berichtet Dilara Aslan: Derzeit versuchten viele Gleichaltrige in der Türkei - vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Lage - im Ausland, insbesondere auch in Deutschland, zu leben. "Darum fragen sie mich oft, warum ich hergekommen bin und nicht wieder zurückgehen will. Im Ausland sei es doch viel besser. Sie sagen: Wir wollen weg, warum bist Du hier? Du hast doch einen deutschen Pass."
Sie will in der Türkei bleiben - schon allein aus kulturellen Gründen, wie sie sagt. Kemal Demir von der Akdeniz-Universität sieht aber auch die positiven Seiten, wenn gerade junge Menschen aus Deutschland in die Türkei kommen.
"Pünktlichkeit, Ordnung und dann eben fleißig sein, was erreichen wollen: Das sind die positiven Seiten, die man sich dort angeeignet hat und hier auch einführen kann", sagt er. "Und die Emotionalität, die man hier durch die Sozialisation erlebt hat, dieses aktiv sein, immer dabei sei, immer was tun. Wenn man diese beiden Seiten kombiniert, dann führt man hier ein wirklich gutes Leben."
Auch für Yurdagül Ertem war ihre Zeit in Deutschland prägend: Weitsichtig statt engstirnig zu sein, sich ohne Vorurteile Menschen anzunähern - das habe sie auf dem Gymnasium gelernt, sagt sie.
Und auch, wenn es nicht immer einfach war, sind sich alle drei einig: Es war gut, dass die Eltern und Großeltern einst nach Deutschland gingen.