Türkisches Oppositionsbündnis Sechs gegen Erdogan
Der türkische Präsident Erdogan will bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen erneut kandidieren. Nun haben sich sechs Oppositionsparteien zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Erdogan von der Macht verdrängen. Von Pia Masurczak.
Der türkische Präsident Erdogan will bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen erneut kandidieren. Nun haben sich sechs Oppositionsparteien zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Erdogan von der Macht verdrängen.
Mehr als 2000 konkrete Ziele hatte die oppositionelle "Allianz der Nation" im Vorfeld versprochen. Und tatsächlich dauerte die Vorstellung des Wahlprogramms am Vormittag in Ankara mehr als zwei Stunden. Dabei immer im Mittelpunkt: Maßnahmen gegen die schlechte wirtschaftliche Situation in der Türkei.
Besonders die enorm hohen Preise machen den Türkinnen und Türken zu schaffen. Offiziell ist die Inflationsrate im Dezember zwar zurückgegangen, lag aber immer noch bei mehr als 60 Prozent. Tatsächlich dürften es deutlich mehr sein. Innerhalb eines Jahres, so das Versprechen der Opposition, soll die Inflationsrate einstellig werden.
Kampf gegen die Machtfülle des Präsidenten
Zusammen mit Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und kostenlosen Mittagessen für Schüler will das Bündnis damit gegen Armut vorgehen. "Armut ist und darf nicht ein Schicksal sein. Heute haben wir es mit einer zunehmenden und in allen Bereichen des Lebens spürbaren Verarmung zu tun - in einem Einmannregime, auf das sogar die Pharaonen neidisch sein würden", sagte Ümit Özlale von der national-laizistischen Iyi-Partei.
Der Verweis auf die Pharaonen macht deutlich: Die teils sehr unterschiedlichen Parteien eint vor allem ihre Kritik an der Machtfülle des Präsidenten. Die unter Recep Tayyip Erdogan ausgebauten Kompetenzen will das Bündnis deutlich beschränken. Künftig soll der Staatspräsident nur noch für eine Amtszeit von sieben Jahren gewählt werden, das Parlament im Gegenzug wieder mehr Rechte bekommen. Verbotsverfahren wie das aktuell laufende gegen die kurdisch geprägte HDP müssten dann vom Parlament beschlossen werden.
Flüchtlingsabkommen soll neu geprüft werden
Außenpolitisch unterscheidet sich das Programm der "Allianz der Nationen" hingegen weniger von der aktuellen Regierung. Eine gefestigte Rolle der Türkei als Regionalmacht, Beziehungen zu den USA und Russland "auf Augenhöhe" und vor allem eine Rückkehr der rund vier Millionen syrischen Flüchtlinge könnten so auch als Programm der aktuellen Regierung durchgehen.
Erklärtes Ziel bleibt die Vollmitgliedschaft in der EU, allerdings sieht die "Allianz der Nation" an anderer Stelle Redebedarf: Die Türkei dürfe nicht länger allein für die Geflüchteten, die vor allem aus Syrien und Afghanistan kommen, zuständig sein, erklärte Sabri Tekir von der islamisch-konservatien Saadet-Partei. Man wolle das Rückführungsabkommen von 2014 und den Flüchtlingsdeal vom März 2016 überprüfen. "Wir wollen eine gemeinsame Verantwortungsübernahme und eine Lastenteilung mit der EU erwirken", sagt Tekir. "Die illegale Einwanderung wollen wir durch Rückführungsabkommen eindämmen und nicht länger zulassen, dass unser Land zu einer Art Pufferzone, einer Art Pufferland in der Flüchtlingsangelegenheit wird."
Kandidat soll Mitte Februar bekannt gegeben werden
Beim aktuellen Streit um die schwedische NATO-Mitgliedschaft blieb das Bündnis dagegen eher vage. Wegen der Koranverbrennungen eines schwedisch-dänischen Rechtsextremisten und weil die schwedische Regierung nicht wie gefordert mehr als 100 angebliche Terroristen an die Türkei ausliefert, hat Ankara ein Veto eingelegt. Das Wahlprogramm der Opposition hält sich in diesem Streit weiter alle Türen offen. "Unsere Beiträge zur NATO sollen auf rationaler, vernünftiger Grundlage und unter Berücksichtigung unserer nationalen Interessen fortgesetzt werden", sagte Tekir.
Seinen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl will das Bündnis erst am 13. Februar bekanntgeben. Er dürfte wohl aus der größten Oppositionspartei, der CHP, stammen. Lange wurde der beliebte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu als wahrscheinlichster Kandidat gehandelt, bis er im Dezember wegen Beleidigung der Wahlkommission zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und einem Politikverbot verurteilt wurde. Imamoglus Amtskollegen aus Ankara, Mansur Yavas, und dem Parteivorsitzende der CHP, Kemal Kilicdaroglu, werden ebenfalls gute Chancen auf die Kandidatur nachgesagt.