Leben im Ukraine-Krieg "Der reinste Horror"
Viele Ukrainer müssen wegen der russischen Attacken tagelang in Kellern hocken. Ihnen fehlt Wasser, Essen, Strom oder Gas. Die 67-jährige Nina berichtet von ihren dramatischen Erlebnissen.
Nina hält nur mit größter Mühe ihre Tränen zurück, als sie davon erzählt, was sie in ihrer Heimatstadt im Osten der Ukraine durchgemacht hat. Nina kommt aus Wolnowacha. Der Ort liegt etwa 60 Kilometer südlich von Donezk. Immer wieder kommen aus der Region Berichte, dass die Bewohner ums Überleben kämpfen.
Ich habe sechs Tage lang auf einem Stuhl im Keller verbracht. Ich habe dort übernachtet und saß dort tagsüber. Wir wussten nicht, wo wir Wasser herholen könnten, was wir essen könnten.
In den vergangenen Tagen seien sie so stark beschossen worden, dass sie nicht einmal aus dem Versteck hinausschauen konnten:
Ich habe sechs Tage lang nicht geduscht, mir nicht mal übers Gesicht gewaschen, die Zähne nicht geputzt. Ich war voller Staub und Dreck.
Nina und einige andere suchten im Keller Schutz vor Bomben und Beschuss. Sie berichtet, es seien ganz kleine Kinder dabei gewesen. Die Keller sind wie in den meisten Orten in der Ukraine nicht ausgebaut. Es ist kalt, viele müssen auf bloßer Erde schlafen.
Die Menschen bekommen gar keine Hilfe. Es gibt kein Wasser, kein Essen, keinen Strom, kein Gas, es gibt gar nichts. Auch keine Mittel, um Menschen vor Bomben oder Luftangriffen zu warnen.
Umstellt und unter Beschuss
Etwas mehr als 20.000 Menschen lebten in Wolnowacha. Die Stadt sei von russischen Truppen umstellt und unter ständigem Beschuss, erzählt Nina.
In unserer Stadt macht sich zurzeit der reinste Horror breit. Wir wurden aus der Luft mit Bomben beworfen, mit Mehrfachraketenwerfern beschossen, mit Minenwerfern, aus Panzern.
Alles, was es an Waffen gibt, werde gegen die Stadt eingesetzt:
Sie haben sie ausradiert, dem Erdboden gleichgemacht. Davon ist nur eine Geisterstadt übriggeblieben.
"15 Minuten, um die Stadt zu verlassen"
Nina gelang es zu fliehen. Ihr Glück, lebendig davon gekommen zu sein, kann sie immer noch nicht fassen. In wenigen Tagen wird sie 67.
Ich habe mein Leben lang in Wolnowacha verbracht, für die Flucht konnte ich nur ein Paar Unterwäsche und einen Sportanzug schnell in die Tasche schmeißen, und Papiere. Und damit rannte ich weg. Wir hatten 15 Minuten, um die Stadt zu verlassen.
In dieser Zeit hätten sie etwa einen Kilometer laufen müssen, um das Auto aus der Garage zu holen und aus der Stadt zu fahren.
40.000 Menschen inmitten einer Katastrophe
Im Donbass leben etwa 40.000 Menschen inmitten einer humanitären Katastrophe. Die ukrainische Seite sagt, die russischen Truppen erlaubten keinen Korridor, um die Bevölkerung herauszubringen.
Russland wirft stattdessen den Ukrainern vor, sie stimmten dem Korridor nicht zu. Die Vizepremierministerin der Ukraine, Irina Wereschuk, appellierte eindringlich an die internationalen Hilfsorganisationen, dabei zu helfen.
Russische Truppen sind in einige Gebiete vorgedrungen.
"Sie lagen einfach da, tot"
Nina berichtet, die ukrainischen Soldaten hätten die Bewohner unterstützt, so gut sie konnten.
Als wir auf der Flucht am Zentralplatz vorbeigerannt sind, da lagen sie, zehn unsere Jungs, die die Stadt verteidigt hatten. Sie lagen einfach da, tot. Die Körper wurden nicht einmal weggetragen.
Massive Angriffe gehen weiter
Der Krieg in der Ukraine geht heute in seinen achten Tag. Das Land wird von Russland massiv angegriffen. Mehrere Großstädte, aber auch kleine Orte und Siedlungen werden aus der Luft und mit Artillerie beschossen. Panzer rollen in Dörfer ein. Spitäler, Verwaltungen, Infrastruktur und Wohnviertel werden zerstört.
Nach Angaben der UNO sind in der Ukraine mehr als 220 Zivilisten getötet worden, 525 verletzt. Mehr als eine Million sind demnach aus dem Land geflüchtet.
Aus Wolnowacha wurden laut dem ukrainischen Katastrophendienst 400 Menschen in Sicherheit gebracht. Die Welt müsse davon erfahren, was die Russen ihrer Stadt angetan haben, und die Welt müsse Putin endlich stoppen, sagt Nina. Heute sollen Gespräche zwischen der Ukraine und Russland stattfinden, die zweite Runde. Ob eine Feuerpause dabei erreicht werden kann, bleibt unklar.