Krieg gegen die Ukraine Wie Kiew versucht, den russischen Raketen zu trotzen
Wieder gab es schwere russische Luftangriffe auf Kiew. Doch offenbar gelingt es der Ukraine immer häufiger, Moskaus Hyperschall-Raketen abzuschießen. Dabei helfen vermutlich auch deutsche Flugabwehrsysteme.
Es war wieder eine unruhige Nacht in Kiew, mehrere laute Explosionen waren zu hören. Druckwellen ließen Fenster und Gebäude sogar im Zentrum der Stadt erzittern, berichten Augenzeugen. Mit 18 Raketen unterschiedlicher Art hat Russland in der Nacht aus dem Norden, Süden und Osten angegriffen. Es ist bereits der achte massive Raketenangriff seit Anfang Mai.
Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz erkennt darin eine veränderte Strategie der russischen Streitkräfte. Zum einen gehe es darum, die ukrainische Flugabwehr zu binden, dass sie sich immer wieder mit dem Schutz der Zivilbevölkerung in den Städten beschäftigen muss, sagt Lange. "Weil die Ressourcen für die Luftverteidigung in der Ukraine immer noch sehr begrenzt sind, hat die Ukraine diese Systeme dann nicht zur Verfügung, um zum Beispiel an der Frontlinie die Truppen zu schützen."
"IRIS-T" und "Gepard" sorgen offenbar für Schutz von Kiew
Das könnte im Zusammenhang mit der Gegenoffensive ein Nachteil für die ukrainischen Truppen werden, meint Lange. Gleichzeitig versuche Russland mit den vermehrten Angriffen aber auch, die Stellungen der ukrainischen Flugabwehr zu finden. Die Hauptstadt Kiew wird vor allem von deutschen Systemen wie "IRIS-T" oder den Flugabwehrpanzern vom Typ "Gepard" geschützt. Erst im April war bekannt geworden, dass Deutschland der Ukraine auch ein "Patriot"-System zur Verfügung gestellt hat.
Das soll nach ukrainischen Angaben in der Nacht sechs russische "Kinschal"-Raketen abgeschossen haben. Die Hyperschallraketen galten lange als nur schwer zu treffen. Doch Lange hält die Angst vor diesem russischen Raketentyp für übertrieben. Es gebe andere Hyperschallsysteme, die viel schwieriger abzufangen seien als "Kinschal"-Raketen.
"Aber da ist Russland offensichtlich nicht in der Lage gewesen, diese in ausreichender Stückzahl zu produzieren oder sie einsatzbereit zu haben. Dass die 'Kinschal' jetzt mehrfach schon abgefangen wurde, ist am ehesten ein Hinweis darauf, dass die 'Patriot'-Systeme in Kiew oder bei Kiew in Stellung sind. Und mit 'Patriots' ist es eben möglich, die 'Kinschal'-Raketen zu bekämpfen", meint Lange.
Das "Patriot"-Flugabwehrsystem stammt eigentlich aus den USA. Nach russischen Angaben habe man eines der Systeme bei dem letzten Angriff zerstört. Die Ukraine wollte diese Angaben nicht kommentieren. Experten gehen davon aus, dass Russland auch weiterhin massive Luftangriffe starten wird.
Bestände russischer "Kinschal"-Raketen ungewiss
Über wie viele Raketen des Typs "Kinschal" Russland verfügt, sei nicht genau bekannt, sagt Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations im ARD-Podcast "Streitkräfte und Strategien". Man gehe aber davon aus, dass bisher nur wenige auf die Ukraine abgefeuert wurden, weil das sehr komplexe und sehr teure Systeme seien, die auch schwierig in der Nachproduktion für Russland seien. "Insofern hat jede abgeschossene, jede abgewehrte Rakete einen militärischen Effekt dahingehend, dass weniger zur Verfügung stehen und natürlich den Nachweis erbracht, dass moderne westliche Raketenabwehrsysteme auch mit modernen russischen Raketen umgehen können."
Flugabwehrsysteme und entsprechende Munition sind eine zentrale Forderung der Ukraine an ihre westlichen Partner. Solche Waffenlieferungen schützten Leben, heißt es. Tatsächlich hat die Ukraine zurzeit eine gute Trefferquote. Doch wenn eine Rakete oder auch nur ein Teil davon in Wohngebiete kracht, werden dabei oft Dutzende Zivilisten getötet. Zuletzt in Uman, wo in einem Hochhaus mehr als 20 Menschen in ihren Betten getötet wurden.