Krisentreffen in Lwiw Erdogan warnt vor "weiterem Tschernobyl"
Der Beschuss des AKW Saporischschja war das zentrale Thema des Gipfels von UN-Chef Guterres mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und dem türkischen Staatschef Erdogan. Trotz Appellen lehnt Moskau eine Demilitarisierung des AKW weiter ab.
UN-Generalsekretär António Guterres und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan haben angesichts des Beschusses des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja vor einer nuklearen Katastrophe gewarnt. "Wir sind besorgt. Wir wollen kein weiteres Tschernobyl", sagte Erdogan nach einem Treffen mit Guterres und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der westukrainischen Stadt Lwiw.
Er bezog sich damit auf das Reaktorunglück im Jahr 1986. Der wiederholte Beschuss des AKW Saporischschja im Süden der Ukraine - für den sich die Ukraine und Russland gegenseitig verantwortlich machen - schürt seit Tagen die Furcht vor einem nuklearen Zwischenfall.
Guterres: Jede Beschädigung ist "Selbstmord"
Guterres sagte in Lwiw, er sei "sehr besorgt" wegen der Situation am größten AKW Europas. Er forderte erneut eine Entmilitarisierung des Kraftwerks. Die Anlage dürfe nicht im Rahmen militärischer Operationen genutzt werden, sagte Guterres. "Stattdessen ist dringend eine Einigung erforderlich, um Saporischschja als rein zivile Infrastruktur wiederherzustellen und die Sicherheit des Gebiets zu gewährleisten." Jede mögliche Beschädigung des AKW sei "Selbstmord".
Erdogan kündigte an, die Türkei werde ihre "Anstrengungen für eine Lösung" des Konflikts fortsetzen. Die Türkei bleibe "an der Seite unserer ukrainischen Freunde", betonte er. Der türkische Staatschef hat sich selbst im Ukraine-Konflikt eine Vermittlerrolle zugewiesen. So vermittelte seine Regierung zusammen mit den UN im Juli die Vereinbarungen zur Wiederaufnahme des Getreideexports aus ukrainischen Häfen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Einzelheiten einer IAEA-Inspektion vereinbart
Selenskyj vereinbarte nach Angaben der Webseite seines Präsidialamts mit Guterres Einzelheiten, wie eine Inspektion der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in dem Atomkraftwerk Saporischschja stattfinden könnte. Unklar blieb zunächst, ob der Kreml den vorgeschlagenen Bedingungen zustimmen würde.
Russland hatte die Vorschläge der Vereinten Nationen für eine Entmilitarisierung der Zone um das besetzte Atomkraftwerk zuvor abgelehnt. Das sei inakzeptabel, weil dadurch die Anlage noch anfälliger werde für Angriffe, sagte ein Sprecher des russischen Außenministeriums in Moskau. Russland erwarte vielmehr, dass schon in "unmittelbarer Kürze" Expertinnen und Experten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) das AKW besichtigen werden.
Eine solche Mission ist seit Langem geplant. Moskau hatte immer wieder erklärt, dass sich die IAEA davon überzeugen könne, dass Russland lediglich für die Sicherheit des größten Kernkraftwerks in Europa sorge. Zuletzt hatten die Vereinten Nationen Vorwürfe Moskaus zurückgewiesen, die UN hätten eine IAEA-Mission verhindert.
Russland und die Ukraine beschuldigten sich gegenseitig, das Atomkraftwerk zu beschießen. Beide Seiten erklärten, der jeweilige Gegner plane einen Angriff und wolle dann dem anderen die Verantwortung für die Folgen zuschieben. Seit März halten russische Truppen das Kraftwerk besetzt, es wird aber weiterhin von ukrainischen Technikern betrieben.
Aufklärungsmission nach Angriff auf Gefängnis
Des Weiteren kündigte Guterres eine Aufklärungsmission nach dem Angriff auf ein Lager mit ukrainischen Kriegsgefangenen Ende Juli an. Der brasilianische General Carlos dos Santos Cruz soll die Operation demnach leiten. "Wir werden nun weiter daran arbeiten, die notwendigen Zusicherungen zu erhalten, um einen sicheren Zugriff auf die Stätte und alle anderen relevanten Orte zu gewährleisten", sagte der UN-Generalsekretär.
Die Ukraine hatte nach dem Tod von etwa 50 ukrainischen Kriegsgefangenen Ende Juli in dem Gefängnis Oleniwka bei Donezk den Zugang unabhängiger internationaler Experten verlangt, um den Fall aufzuklären. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, für den Tod der Gefangenen verantwortlich zu sein.