Verhinderte Getreideexporte Kann die Ukraine noch Kornkammer sein?
Die Ukraine ist wegen der russischen Blockade im Schwarzen Meer auf Alternativen angewiesen, ihre Agrarprodukte auf den Weltmarkt zu bringen. Ansonsten drohen der Wirtschaft des Landes verheerende Schäden. Was könnte eine Lösung sein?
Russland reicht es nicht, die Verlängerung des Abkommens zu verweigern, welches der Ukraine den Getreide-Export über das Schwarze Meer ermöglichte. Immer neue heftige Angriffe auf ukrainische Hafenstädte haben die Botschaft in der vergangen Woche unterstrichen.
Die Schäden seien riesig, sagte Oksana Karabin vom größten ukrainischen Agrarproduzenten Kernel der BBC schon kurz nach Beginn der Angriffsserie: "Nach ersten Schätzungen dürfte es mindestens zwölf Monate dauern, die Einrichtungen wieder aufzubauen." In einer einzigen Nacht beschädigten und zerstörten russische Raketen laut Karabin allein im Hafen Tschornomorsk etwa 40 Prozent der Getreideterminals, rund 60.000 Tonnen Getreide in Kernels Silos wurden dabei vernichtet.
Exporte über die Donauhäfen?
Weil Russland nun auch zivilen Frachtern mit Ziel Ukraine mit Angriffen droht, ist bis auf Weiteres die Route verschlossen, über die das Land in den vergangenen zwölf Monaten knapp 33 Millionen Tonnen exportieren konnte - mehr als die Hälfte seiner Getreideausfuhr.
Serhii Ivashenko, Chef der ukrainischen Getreidevereinigung, zu den Alternativen: "Die Ukraine könnte ihre Exporte über die Donauhäfen auf 2,5 bis 3 Millionen Tonnen monatlich steigern", meint er. Obwohl Russland jetzt auch diese Ausweichroute angreift, schlägt Ivashenko die Vertiefung von Flussbetten und den Bau von neuen Umschlagterminals vor sowie den Ausbau von Transportmöglichkeiten per Straße und Schiene Richtung Westen.
Das sei besser als nichts, sagt Pavel Martyshek von der Kiew School of Economics, aber er verweist auf die Kosten. "Der Getreidetransport per Eisenbahn kostet mehr als 100 Dollar pro Tonne. Per Donau ist es weniger, aber am günstigsten immer noch über das Schwarze Meer", so Martyshek.
Östliche EU-Länder blockieren die Einfuhr
Nicht minder schwierig: Mittel- und süd-osteuropäische EU-Mitglieder wie Polen oder Bulgarien sperren sich gegen die Einfuhr ukrainischer Agrarprodukte, weil ihre Bauern unter dem Preisdruck der Importware leiden. Sie blockieren auch Erzeugnisse, die für den Transit bestimmt sind.
Die Ukraine kann aber nicht warten, der Agrarexport ist überlebenswichtig. Die Produkte bringen dem Land dringend benötigte Devisen ein, außerdem brauchen die Landwirte Geld, um Maschinen, Dünger und Saatgut zu kaufen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte erneute die EU zur Öffnung ihrer Grenzen für die Agrarprodukte auf. Europas Institutionen könnten vernünftiger handeln, als die Grenzen für ein bestimmtes Produkt zu schließen, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. Selenskyj sagte, er habe mit Regierungsbeamten und Experten beraten, wie die Agrarprodukte wieder EU-Gebiet passieren könnten. Heute treffen sich die EU-Agrarminister in Brüssel - die Importbeschränkungen ist eines der Themen auf der Agenda.
Getreide trotz allem auf dem Seeweg transportieren?
Am besten wäre es jedoch, wenn Reedereien bereit wären, weiterhin ukrainisches Getreide auf dem Seeweg zu transportieren, sagt Martyshek: "Das ist riskant. Aber ob Russland türkische oder chinesische Frachter angreifen würde? Das glaube ich eher nicht."
Noch Anfang Juli hatte die ukrainische Regierung einen entsprechenden Versicherungsfonds eingerichtet. Laut Selenskyi soll es Reeder geben, die Interesse zeigen. Am Mittwoch spricht die NATO mit der Führung in Kiew über die Lage im Schwarzen Meer. Ein Eingreifen zugunsten der Wiederherstellung des Getreidekorridors ist unwahrscheinlich. Die Ukraine muss um ihren Ruf als Brotkorb der Welt bangen.