Krieg gegen die Ukraine Russland meldet Kontrolle über Mariupol
Russische Streitkräfte haben Mariupol nach eigenen Angaben vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Das Industriegelände, in dem sich ukrainische Soldaten und Zivilisten verschanzt haben, soll nicht gestürmt werden.
Das russische Militär hat nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu die umkämpfte südostukrainische Hafenstadt Mariupol unter seine Kontrolle gebracht. Das teilte Schoigu bei einem mit Kremlchef Wladimir Putin im Staatsfernsehen übertragenen Treffen mit.
"Die verbliebenen ukrainischen Kampfeinheiten haben sich auf dem Industriegelände der Fabrik Asowstal verschanzt", sagte Schoigu. Demnach befinden sich in dem weiträumigen Komplex, der über zahlreiche Tunnel verfügt, noch mehr als 2000 ukrainische Soldaten.
Putin will Industrieanlage nicht stürmen lassen
Präsident Putin ordnete an, das Stahlwerk nicht wie geplant zu stürmen. Ein entsprechender Befehl solle zurückgenommen werden. "Wir müssen an das Leben und die Gesundheit unserer Soldaten und Offiziere denken", sagte Putin. Vielmehr sollte das Gebiet so engmaschig belagert werden, dass "keine Fliege mehr heraus kann".
Putin forderte die Menschen in dem Stahlwerk auf, die Waffen niederzulegen. "Die russische Seite garantiert ihnen das Leben", sagte Putin. Er sprach von einem Erfolg und der "Befreiung Mariupols" und ordnete an, die beteiligten Militärs auszuzeichnen. "Sie sind alle Helden", sagte Putin.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Ukraine: Noch 1000 Zivilisten im Stahlwerk
Nach Darstellung Schoigus sind die ukrainischen Einheiten vollständig blockiert. Der Minister sagte, dass die Fabrik in drei bis vier Tagen ebenfalls eingenommen werden solle. Dort seien auch ausländische Söldner. Über die angebotenen humanitären Korridore habe niemand das Werk verlassen, sagte der Minister. Am Mittwoch war eine geplante Evakuierung von Zivilisten aus Mariupol erneut gescheitert.
Die ukrainische Regierung forderte von Russland dringend freies Geleit für Zivilisten und verletzte Soldaten aus dem Stahlwerk. "Dort befinden sich gerade etwa 1000 Zivilisten und 500 verwundete Soldaten. Sie müssen alle heute herausgeholt werden!", schrieb Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk bei Telegram. Sie rief die Welt dazu auf, alle Anstrengungen jetzt auf das Stahlwerk zu konzentrieren: "Das ist jetzt der Schlüsselpunkt und der Schlüsselmoment für die humanitären Bemühungen."
Am Mittwochmorgen hatte der Kommandeur der verbliebenen Marineinfanteristen um eine Evakuierung seiner Kämpfer in einen Drittstaat gebeten.
Russland: Mariupol stark vermint
Schoigu teilte zudem mit, dass die Stadt stark vermint sei. "Alle wichtigen Objekte der städtischen Infrastruktur, darunter auch der Seehafen und das Fahrwasser wurden nicht nur vermint, sondern auch noch blockiert durch Schwimmkräne", sagte er. Vielen ausländischen Schiffen sei dadurch die Ausfahrt verwehrt worden.
Beschuss aus mehreren Orten in der Ukraine gemeldet
Unterdessen wurde auch in der Nacht aus der Ukraine erneut Beschuss gemeldet. In der Großstadt Charkiw im Osten des Landes hätten nach Explosionen mindestens zwei Hochhäuser im nordöstlichen Bezirk Saltivka und mehrere geparkte Autos Feuer gefangen, berichtete die "Ukrajinska Prawda".
In der Region Dnipropetrowsk seien die Nachbarorte Selenodolsk und Welyka Kostromka unter heftigen Beschuss geraten, teilte der Chef der lokalen Militärverwaltung, Olexander Wilkul, am frühen Morgen auf Facebook mit. Angaben zu genauen Zielen oder Schäden machte Wilkul nicht.
In dem Gebiet befindet sich ein Wärmekraftwerk. Es gebe Probleme mit der Stromversorgung, weitere Folgen bringe man noch in Erfahrung, sagte Wilkul weiter. Seinen Angaben zufolge wurden auch nunmehr wieder unter ukrainischer Kontrolle stehende Dörfer im Gebiet Cherson am späten Abend beschossen. Die Angaben konnte nicht unabhängig geprüft werden.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Ukraine: Massengräber entdeckt
Im Kiewer Vorort Borodjanka sind nach ukrainischen Angaben zwei weitere Massengräber entdeckt worden. Darin hätten sich insgesamt neun Leichen von Zivilisten, Männer wie Frauen, befunden, teilte Andrij Nebitow von der Polizei der Region Kiew in der Nacht zum Donnerstag auf Facebook mit. Einige von ihnen hätten Folterspuren aufgewiesen, hieß es weiter. Borodjanka gehört zu den am stärksten zerstörten Städten in der Hauptstadtregion.
Gouverneur: 80 Prozent von Luhansk unter russischer Kontrolle
Ukrainischen Angaben zufolge ist derweil rund acht Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs der Großteil der Region Luhansk unter russischer Kontrolle. Nach dem Abzug der ukrainischen Truppen aus der Kleinstadt Krimenna kontrollierten russische Einheiten nun 80 Prozent des Gebietes Luhansk, teilte der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, am Abend auf Telegram mit.
Auch die Städte Rubischne und Popasna in Luhansk seien mittlerweile "teilweise" unter russischer Kontrolle. Um diese gibt es seit Wochen intensive Kämpfe. Der Beschuss habe auch hier zugenommen, schreibt Hajdaj weiter.