Krieg in der Ukraine Nächste Schlüsselschlacht um Slowjansk?
Laut dem ukrainischen Generalstab hat die russische Armee ihre Stellungen unweit der Stadt Slowjansk verstärkt. Der britische Geheimdienst will wissen, dass die Truppen 16 Kilometer nördlich von der Stadt entfernt sind.
Der Kriegsalltag holt die Ukraine wieder einmal ein: Luftalarm fast auf dem gesamten Territorium des Landes, die zweite Nacht in Folge. Einige Wochen lang hatten sich die Kampfhandlungen auf den Osten und Süden sowie auf ein paar Regionen in der Zentralukraine beschränkt. Nun zeigten die ukrainischen Medien, wie sich die komplette Landeskarte rot färbte. Dann muss sich die Bevölkerung in die Luftschutzkeller begeben, ab und an - wie diesmal mitten in der Nacht. Russland setzt offenbar weiter auf massive Raketenangriffe.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, die ukrainische Führung bemühe sich um moderne und ausreichende Raketenabwehr. "Das ist die Maximalaufgabe für unseren Staat. Wir wollen schon dieses Jahr eine grundlegende Sicherheit für die Ukrainer gewährleisten, einen grundlegenden Schutz vor Raketenangriffen. Aber das hängt nicht nur von uns ab, sondern auch vom Verständnis unserer Partner für unsere fundamentalen Bedürfnisse."
Flächendeckende Abwehr eher unwahrscheinlich
Einen flächendeckenden Schirm wird die ukrainische Seite vermutlich nicht über der Ukraine aufspannen können - zu viele Systeme wären dafür nötig, zu langsam die Verhandlungen und die Lieferungen. Vor allem die Luftverteidigungssysteme NASAMS sollen eingesetzt werden, aus den USA und Norwegen sowie Iris-T aus Deutschland.
Besonders dringend wäre das für das Gebiet Mykolajiw westlich der Krim. Seit einigen Wochen gibt es dort nach Angaben der regionalen Behörden fast jeden Tag Raketeneinschläge. Das südukrainische Militär beobachtet auch eine wachsende Gefahr seitens der russischen Marine. "Die Marinegruppe der feindlichen Kräfte besteht aus vier Überwasser-Raketenträgern und zwei U-Booten. Sie blockiert weiter die Seefahrt. Es besteht eine Bedrohung durch 40 Marschflugkörper", sagt Wladislaw Nasarow.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Zivilisten sollen Slowjansk verlassen
Die Zahl der Raketen und der russischen Kampfschiffe ist nach Angaben der ukrainischen Streitkräfte in den vergangenen Tagen weiter gestiegen.
Im Donbass bereiten sich die Streitkräfte auf den Vormarsch der russischen Truppen vor. Der Regionalgouverneur des Donezker Gebietes hat die Einwohner wegen chaotischen Beschusses der russischen Seite zur Evakuierung aufgerufen, vor allem aus Slowjansk. Dort haben die Angriffe seit einigen Tagen deutlich zugenommen.
Nach Erkenntnissen des britischen Geheimdienstes sollen die russischen Truppen bereits 16 Kilometer nördlich von der Stadt entfernt sein. Um Slowjansk könnte sich laut den Briten die nächste Schlüsselschlacht entfalten.
"Krieg kann sich hinziehen"
Jetzt, im mittlerweile fünften Monat des Krieges, sehen viele Ukrainer ein, dass er noch lange dauern kann und dass noch viele an die Front einberufen werden könnten. "Lasst uns vollkommen ehrlich zueinander sein. Die Chancen stehen so, dass sich der Krieg gegen den russischen Feind hinziehen kann", sagt Serhij Bratschuck, Sprecher der militärischen Regionalverwaltung Odessa. Dann werde die Mehrheit der Männer, die halbwegs gesund sind, beim Militär dienen. "Und nicht einfach dienen, sondern im Krieg kämpfen. Und ein großer Teil der Frauen wird gezwungen sein zu kämpfen. Denn die Streitkräfte, die derzeit kämpfen, brauchen Ersatz." Der Einsatz unmittelbar im Kampfgeschehen könnte also für viele näher rücken.
Diskussion um Wehrpflichtige und Reservisten
Wie empfindlich die ukrainische Gesellschaft darauf reagiert, sieht man an der aktuellen Diskussion um Wehrpflichtige und Reservisten. Gestern kündigte der Generalstab eine Meldepflicht an: Wer die Grenzen seiner Region verlassen wolle, brauche eine Genehmigung dafür. Die Empörung kochte binnen Stunden hoch. Schon am Abend sah sich Präsident Selenskyj unter Druck und musste die Gemüter erstmal beruhigen. Er wolle einen detaillierten Bericht von den Plänen. Und er forderte das Armeekommando öffentlich dazu auf, in Zukunft keine Entscheidungen ohne Rückfrage mit ihm zu treffen.