Ukraine Zäher Kampf gegen die "Kultur der Korruption"
Seit den Maidan-Protesten hat sich in der Ukraine zwar viel getan in Sachen Korruptionsbekämpfung. Doch nun bietet der Krieg Politikern neue Gelegenheiten, sich zu bereichern. Die Zivilgesellschaft will das nicht zulassen.
Tymofiy Mylovanov hasst die Korruption. Der Präsident der Kyiv School of Economics, einer privaten Hochschule, redet sich in Rage, wenn er nach dem Thema gefragt wird. Denn Korruption ist schon seit Jahrzehnten ein großes Problem in der Ukraine. Sie einzudämmen war lange ein nahezu unmögliches Unterfangen.
Denn Korruption sei kein rein politisches Problem, sagt Mylovanov. Sie sei ein kulturelles Problem. Und die Kultur der Korruption sei russisch beeinflusst. "Alles steht zum Verkauf. Regeln spielen keine Rolle und jeder kämpft für sich selbst. Es gilt das Gesetz des Stärkeren, von Einflusssphären. Die ganze russische Propaganda und sogar ihre Positionierung basiert auf dieser Philosophie. Und diese Philosophie ist auch die Philosophie korrupter Menschen. Wir bekämpfen das in der Ukraine an zwei Fronten, direkt gegen Russland und innenpolitisch", sagt Mylovanov.
Im Winter 2013 beginnen in Kiew Massenproteste auf dem Maidan - dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt. Während der damalige Präsident in einer pompösen Villa mit vergoldeter Toilette lebt, wissen viele Menschen kaum, wie sie ihren Alltag finanzieren sollen. Die Revolution der Würde - wie die Proteste in der Ukraine genannt werden - verändert das Land. Seitdem kämpfen viele in der Ukraine gegen das Korruptionsproblem.
Aktivistin: Russland will schwache Institutionen
Doch es sei immer wieder auch Russland gewesen, das versucht habe, diesen Kampf zu manipulieren, sagt Tetiana Schewtschuk, Aktivistin vom Aktionszentrum gegen Korruption. "Russland hat auf jede erdenkliche Weise versucht, dieses System anzuheizen und den Reformen zur Korruptionsbekämpfung in der Ukraine entgegenzuwirken. Sie waren daran interessiert, dass die Ukraine so bleibt wie Russland, mit schwachen Institutionen", sagt sie.
"Viele Kollaborateure in den Regionen sind nicht ideologisch motiviert. Sie sind einfach korrupte Beamte, die auf die Seite Russlands übergelaufen sind, das ihnen einfach mehr zahlen kann. Das ist alles."
Ärzte, die sich bestechen lassen
Davon ist auch Mylovanov von der Kyiv School of Economics überzeugt. Korruption töte Menschen, sagt er und blickt dabei auch auf eigene Erfahrungen zurück. Seine Mutter starb vor dreizehn Jahren an den Folgen eines Autounfalls. Ohne Korruption wäre sie heute noch am Leben, davon ist der Ökonom überzeugt.
Kliniken hätten keine Behandlungen durchführen können, weil sie vorgeschriebene Geräte nicht besaßen. Und Ärzte hätten sich erst gekümmert, nachdem er sie bestochen habe. Insgesamt habe er 20.000 Dollar Bestechungsgeld gezahlt - doch es habe seine Mutter nicht mehr retten können.
Das war 2010. Zwei, drei Jahre vor der Revolution. Das war damals das Ausmaß der Korruption. Nichts hat funktioniert. Alle waren korrupt. Sogar der Arzt, der einen Patienten in kritischem Zustand auf der Intensivstation aufnehmen sollte, hat seine verdammte Arbeit nicht gemacht, bis ich ihm 20 Dollar Bestechungsgeld gegeben habe. Ich war am Boden zerstört.
Doch die Ukraine ist im Wandel. Der Kampf gegen Korruption ist ein dominierendes Thema für Medien und Gesellschaft. Und auch auf institutioneller Ebene wurden Maßnahmen ergriffen. Zwischen 2015 und 2019 entstand das nationale Antikorruptionsbüro NABU - eine Strafverfolgungsbehörde. Dazu eine spezialisierte Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft und das Hohe Antikorruptionsgericht.
Das Land sei auf dem richtigen Weg, sagt Aktivistin Schewtschuk: "Jetzt - nach acht Jahren - sehen wir, dass die wichtigsten Einrichtungen schon geschaffen sind und Ergebnisse liefern. Das System wird allmählich gesäubert. Natürlich kann man ein Land nicht von heute auf morgen verändern, aber in acht Jahren hat es in diesem Bereich große Fortschritte gegeben."
Das zeigen auch die Daten von Transparency International. Noch immer schneidet die Ukraine nicht gut ab - im europäischen Vergleich ist nur Russland noch korrupter. Aber: Im weltweiten Vergleich hat die Ukraine in den vergangenen zehn Jahren mit die größten Fortschritte in der Bekämpfung von Korruption erzielt, gibt Transparency International an.
Korruptionsfälle in jüngster Zeit
Trotz aller Erfolge schmerzen die jüngsten Korruptionsskandale - beispielsweise im Verteidigungsministerium, sagt Investigativjournalist Maksim Opanasenko. Sein Team ist auf die Aufdeckung von Korruptionsskandalen spezialisiert. "Wir haben wirklich gehofft, dass der Krieg in der Form, in der er jetzt stattfindet, etwas in den Köpfen einzelner Abgeordneter, einzelner Beamter, einzelner Minister verändern könnte. Leider nein. Es hat sich nichts geändert und mancherorts hat man das Gefühl, dass der Krieg für sie nicht existiert."
Nach den jüngsten Skandalen griff die ukrainische Regierung hart durch. Etliche Politiker wurden entlassen, der stellvertretende Infrastrukturminister sogar verhaftet. Eine Reaktion, die in der ukrainischen Bevölkerung positiv aufgenommen wird. Doch Mylovanov sagt, strafrechtliche Verfolgung allein könne das Problem nicht lösen.
Ausschlaggebend seien institutionelle Veränderungen. Dabei könne die Europäische Union auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, sagt Schewtschuk. "Denn alle Reformen wurden als Vorbedingung für die Einführung von etwa visafreiem Reisen oder Kredithilfen durchgeführt. Das hat das Land vorangebracht. Und wir hoffen, dass wir jetzt mit finanziellen Makrokrediten, mit der europäischen Integration, einige Rahmenbedingungen und Anstöße für die Umgestaltung der Korruptionsbekämpfung erhalten werden."