Russische Invasion Keine Waffenruhe zum Weihnachtsfest
Die Waffen schweigen nicht: Laut der Ukraine sollen im Nordosten und Süden des Landes Stellungen und Ortschaften beschossen worden sein - es gebe auch Tote. Der Kreml behauptet dagegen, nur Angriffe abzuwehren.
Eigentlich sollte in der Ukraine bis Samstagabend eine Feuerpause gelten. Das hatte Russlands Präsident Wladimir Putin zumindest für seine Truppen angeordnet. Doch offenbar schwiegen die Waffen zum orthodoxen Weihnachtsfest nicht.
Der ukrainische Generalstab teilte mit, die russischen Truppen hätten Marschflugkörper eingesetzt, 20 Raketensalven abgefeuert und Wohngebiete im Nordosten, Osten und Süden des Landes ins Visier genommen. Die ostukrainische Stadt Tschassiw Jar war den gesamten Vormittag heftigem Artilleriebeschuss ausgesetzt, berichteten AFP-Journalisten vor Ort. Die wenigen noch verbliebenen Bewohner zogen es deshalb vor, die Weihnachtsmesse statt in der Kirche in einem Schutzkeller zu feiern.
Schwere Kämpfe um Bachmut
Aus der Region Luhansk meldete Gouverneur Serhij Haidai andauernden Beschuss und Angriffe. In den ersten drei Stunden der von Putin angekündigten Feuerpause seien ukrainische Stellungen 14 Mal beschossen worden, außerdem habe es drei Sturmangriffe gegeben. Haidais Angaben ließen sich nicht von unabhängiger Seite überprüfen.
Nach Angaben der ukrainischen Regionalregierung von Donezk wurden am Freitag bei russischen Angriffen auf die heftig umkämpfte Stadt Bachmut im nördlich angrenzenden Krasna Gora zwei Zivilisten getötet. Es soll 13 Verletzte geben, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew mit. Den ukrainischen Behörden zufolge bombardierten russische Truppen am Freitag auch die südliche Region Cherson und töteten dabei einen Rettungssanitäter.
Luftalarm in zahlreichen Städten
Auch rund um die ostukrainische Stadt Charkiw meldeten die Behörden mehrere Explosionen. "Achtung an die Einwohner von Charkiw und der Region: Bleiben Sie in Schutzräumen. Die Besatzer schlagen wieder zu!", schrieb Gouverneur Oleh Synehubow am Samstagabend auf Telegram. Ersten Informationen zufolge gebe es ein Todesopfer, hieß es von Synehubow weiter.
Auch in den Gebieten Poltawa, Dnipropetrowsk, Saporischschja, sowie auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim wurde fast unmittelbar nach 22.00 Uhr MEZ Luftalarm ausgerufen.
Selenskyj: Waffenruhe gescheitert
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte die von Putin angeordnete Feuerpause für gescheitert. "Die Welt konnte einmal mehr sehen, wie falsch Aussagen aus Moskau auf jeder Ebene sind", sagte er in seiner Videobotschaft am Samstagabend - kurz bevor der von Putin genannte Zeitraum der versprochenen Waffenruhe offiziell enden sollte.
"Sie haben irgendetwas von einem angeblichen Waffenstillstand gesagt, doch die Realität ist, dass russische Geschosse erneut Bachmut und andere ukrainische Positionen getroffen haben", so Selenskyj weiter.
Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete.
Kreml: Erwidern Angriffe
Das russische Verteidigungsministerium versicherte dagegen, seine Truppen hielten sich an die Waffenruhe und reagierten lediglich auf ukrainische Angriffe an der rund 1100 Kilometer langen Frontlinie. "Alle Positionen der ukrainischen Armee, von denen aus Beschuss erfolgte, wurden von den russischen Streitkräften durch Erwiderung des Feuers niedergeschlagen", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow.
Kampfhandlungen gab es demnach in den Gebieten Donezk, Cherson und Saporischschja. Die Streitkräfte der Ukraine hätten während der Feuerpause zivile Gebiete unter Beschuss genommen, teilt das Ministerium in seiner täglichen Unterrichtung mit. Diesen Vorwurf macht die Ukraine immer wieder den russischen Truppen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Geheimdienst: Schwere Kämpfe um Kreminna
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste gehen die Kampfhandlungen auf dem üblichen Niveau weiter. Eine der am härtesten umkämpften Gegenden sei weiterhin die um die Stadt Kreminna in der Region Luhansk, hieß es dem täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. "In den vergangenen drei Wochen haben sich die Kämpfe rund um Kreminna auf das dicht bewaldete Gebiet westlich der Stadt konzentriert."
Da die Wälder selbst im Winter einen gewissen Sichtschutz vor der Beobachtung aus der Luft böten, hätten beide Seiten sehr wahrscheinlich Schwierigkeiten, den Artilleriebeschuss genau einzustellen. In den Waldgebieten kämen wie üblich vor allem Infanteristen zum Einsatz - Soldaten also, die vorrangig zu Fuß und auf kurze Distanz kämpfen.
Ukraine: Zynischer Trick
Russlands Präsident Putin hatte die vorübergehende Waffenruhe am Donnerstag angekündigt und mit dem Weihnachtsfest begründet, das viele orthodoxe Christen in Russland und der Ukraine am 7. Januar feiern. Die Ukraine lehnte das allerdings als Propaganda-Geste ab. Die Feuerpause sei ein zynischer Trick, mit dem die russischen Streitkräfte Zeit für eine Neuformation gewinnen wollten.
Es könne keinen Frieden geben, solange russische Truppen ukrainisches Gebiet besetzt hielten, hieß es aus Kiew. Auch viele internationale Beobachter bezweifelten von Anfang an, dass die russischen Waffen wirklich konsequent schweigen würden. Bereits am Freitag meldeten die Kriegsparteien neue Kampfhandlungen.
Weihnachtsmesse im Höhlenkloster
Überschattet von der Invasion Russlands hielt die Orthodoxe Kirche der Ukraine erstmals eine Weihnachtsmesse im berühmten Höhlenkloster in Kiew ab. Ihr Oberhaupt, Metropolit Epiphanius, betonte, "trotz des Krieges und der schrecklichen Prüfungen für das ukrainische Volk feiern wir Weihnachten und glauben an den Sieg des Guten über das Böse". Die Ukraine werde gewinnen. Den russischen Angriffskrieg gegen sein Land verurteilte er.
Die ukrainische Regierung hatte der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) zum Jahreswechsel ihre Hauptkathedrale in dem weltbekannten Kloster entzogen. Die Regierung unterstützt die Orthodoxe Kirche der Ukraine und beschuldigt wiederum Geistliche der UOK der Kollaboration mit Russland.
Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. kritisierte in Moskau, Kiew wolle die orthodoxe Kirche in der Ukraine zerstören. Er äußerte in seiner Weihnachtsbotschaft auch Kriegssorgen. "Wir können nicht umhin, uns Sorgen über die heutigen Kriegsereignisse zu machen, die die heilige Weihnachtsfeier überschatten", schrieb er. Dennoch stellte der Patriarch den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine nicht in Frage. Stattdessen rief er zur "Treue zu unserer christlichen Berufung" auf.