Krieg gegen die Ukraine Russland will ständig präsent bleiben
Russland geht mit Härte im Osten gegen die Ukraine vor: Städte werden beschossen, in besetzten Regionen offenbar Besatzungsregime installiert. Präsident Selenskyj setzt seine Hoffnungen auf den kommenden EU-Gipfel.
Tag 95 des russischen Krieges gegen die Ukraine, ihre Truppen im Osten trotzen massiven Angriffen. Die Lage sei äußerst schwer, betonte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits mehrfach. In einem Interview gegenüber dem niederländischen öffentlich-rechtlichen Sender NOS machte er auch seine Sorge um die Menschen im Süden deutlich.
Russland versucht offenbar, den besetzten Regionen seine eigene Ordnung aufzuzwingen: "Sie schalten das Fernsehen ab, schneiden den Zugang zum Internet ab. Dann wird nur das russische Programm ausgestrahlt - so beginnt dann der Informationskrieg", sagte Selenskyj." Die Vertreter der örtlichen Behörden werden eingekerkert oder sie sind bereits tot. Oder sie werden einer Schaufolter unterzogen. Dort ist Mittelalter."
Russland richtet Militärverwaltung ein
Die Schilderungen des Präsidenten lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Aber auch Geflüchtete und kommunale Politiker beschreiben in den sozialen Medien die Zustände in den besetzten Territorien ähnlich. Die Vielzahl und die Details solcher Berichte sind haarsträubend.
Es geht dabei um die Region Cherson - vor der Krim gelegen - und um den benachbarten Teil des Gebietes Saporischja, das zur Zentralukraine gehört. Dort richtet Russland Militärverwaltungen ein. Sie werden entweder mit eingereisten Russen oder mit prorussischen örtlichen Aktivisten besetzt. Die Zusammenarbeit mit den Okkupanten ist für die Ukrainer strafbar und wird geahndet.
Erzwungen oder freiwillig, Kollaborateure gibt es trotzdem. Diese bemühen sich vielerorts um den Eindruck, die ukrainischen Ländereien würden bereits zu Russland gehören. Dafür versucht man den russischen Rubel in Umlauf zu bringen. Oder man kündigt an, den Bewohnern russische Pässe auszustellen. Beides bisher ohne nennenswerte Erfolge und unter scharfer Kritik der ukrainischen Regierung.
Selenskyj will alle Territorien befreien
Ein Vertreter einer solchen installierten, nicht anerkannten Okkupationsverwaltung - Wladimir Rogow - machte deutlich, dass Russland in der Region ständig militärisch präsent bleiben könnte. Unter anderem in der Stadt Melitopol, die unweit der Küste des Asowschen Meeres liegt. "Eindeutig wertvoll wäre ein Militärflughafen in Melitopol, er ist als Absprungplatz sehr bequem", sagte Rogow gegenüber der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. Er wäre für einen vollwertigen Stützpunkt der russischen Luftwaffe geeignet, wo Jagdflieger, Kampfjets, Luftabwehrsysteme und vieles mehr untergebracht werden könnten.
Ein Drohszenario, das die Ukraine versucht zu verhindern. Selenskyj will alle Territorien befreien, gibt aber auch immer wieder zu erkennen, dass es eine Frage der Zeit und der Ressourcen sei. Die Krim und den Donbass auf militärischem Wege zurückzuholen, hält er wegen der zu erwartenden Opfer nicht für realistisch.
"Ein Sieg bedeutet für mich die Wiederherstellung der Integrität von absolut allen Territorien", sagte er. Er glaube nicht, dass das auf militärischem Wege für das vollständige Territorium zu schaffen sei. "Wir würden Hunderttausende Menschen verlieren. Ich denke, wir müssen zum Stand vom 24. Februar zurückkehren, von dem aus die Invasion begann. Und danach können wir davon sprechen, dass wir unser Territorium auf diplomatischem Wege auskämpfen."
Zusage der USA steht noch aus
Bis dahin tobt allerdings die heftige Schlacht um den Donbass weiter. Die Ukraine fordert mit Nachdruck Artillerie. Aktuell geht es um die sogenannten MLRS-Systeme. Sie feuern mehrere Raketen nacheinander ab, meistens mit einer Reichweite von über 80 Kilometern. Die USA haben die Lieferung dieser schweren Waffen noch nicht zugesagt.
Zum Wochenbeginn plant Selenskyj, vor den Teilnehmern des EU-Sondergipfels in Brüssel zu sprechen. Er will sie davon überzeugen, Russland als Terrorstaat einzustufen. Waffenlieferungen und ein Embargo gegen das russische Öl dürften als weitere dringende Fragen auf seiner Agenda stehen.
Schwere Gefechte in Sjewjerodonezk
Nach Angaben des ukrainischen Militärs dauern schwere russische Angriffe im Osten der Ukraine weiter an. Besonders umkämpft bleibt die Stadt Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk. Die ukrainische Seite fordert mit Nachdruck Lieferung von schweren Artilleriesystemen, um in der Schlacht um den Donbass bestehen zu können.