Krieg gegen die Ukraine Selenskyj rechnet mit schwereren Angriffen
Der Präsident der Ukraine geht als Reaktion auf die anstehende Entscheidung über den EU-Kandidatenstatus seines Landes von einem heftigeren Vorgehen Russlands aus. Die russische Offensive ist laut Militärexperten ins Stocken geraten.
Die Kämpfe um das Verwaltungszentrum Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine laufen mit unverminderter Härte weiter. Russland habe den Artillerieeinsatz verstärkt und mehr Angriffstruppen eingesetzt, um die Offensive im Donbass zu beleben, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft. Doch die ukrainischen Verteidiger hielten alle umkämpften Punkte wie Sjewjerodonezk, Lyssytschansk oder Awdijiwka.
Selenskyj sprach von schweren, aber auch geschichtsträchtigen Tagen, die dem Land bevorstünden. "Morgen beginnt eine wahrlich historische Woche, wenn wir von der Europäischen Union die Antwort zum Kandidatenstatus der Ukraine hören", sagte Selenskyj. Eben wegen dieser Entscheidung werde Russland aber seine "feindlichen Handlungen demonstrativ verstärken" und dabei nicht nur die Ukraine, sondern auch andere europäische Länder ins Visier nehmen, warnte er.
Die EU-Kommission hatte am Freitag empfohlen, der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. Dem müssen aber noch alle 27 Mitgliedsstaaten zustimmen. Die endgültige Entscheidung soll beim EU-Gipfel am 23./24. Juni fallen.
Militärexperten: Russische Offensive stockt
Nach Einschätzung der Militärexperten des Institute for the Study of the War (ISW) ist die russische Offensive im Donbass ins Stocken geraten. Russlands Überlegenheit bei der Artilleriebewaffnung reiche bislang nicht für die Einnahme von Sjewjerodonezk aus. "Russlands konzentrierte Artilleriekapazität gepaart mit wohl geschwächten Infanterieeinheiten bleibt unzureichend, um russische Fortschritte in Sjewjerodonezk zu erzielen", urteilte das ISW in seiner Analyse. Moskauer Truppen kämpften weiter um die Kontrolle der Stadt, hätten aber wenig Fortschritte gemacht.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Das russische Militär spricht hingegen von einer positiven Entwicklung der eigenen Offensive. Gestern nahmen die russischen Truppen nach eigenen Angaben Metjolkine ein, einen Vorort der einstigen Großstadt. Zudem sei im Gebiet Dnipropetrowsk ein Führungsgefechtsstand der ukrainischen Streitkräfte mit hochrangigen Offizieren durch einen Raketenangriff zerstört worden.
"Durch den Schlag wurden mehr als 50 Generäle und Offiziere der ukrainischen Streitkräfte, darunter Generalstabsoffiziere und der Kommandostab des Truppenverbands 'Kachowka', der Luftlandetruppen und der Verbände vernichtet, die im Gebiet Mykolajiw und Saporischschja agieren", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
"Krieg um unsere Existenz"
Der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba betonte den Kampfeswillen seines Volkes. Die Ukraine würde auch im Falle eines Endes westlicher Waffenlieferungen den Kampf gegen Russland weiterführen.
"Wenn wir keine Waffen erhalten, in Ordnung, dann werden wir mit Schaufeln kämpfen, aber wir werden uns verteidigen, denn dieser Krieg ist ein Krieg um unsere Existenz", sagte Kuleba in der ARD-Talksendung Anne Will. "Je früher wir also Waffen erhalten, je früher sie gesendet werden, desto größer ist die Hilfe für uns. Wenn Waffen später geschickt werden, werden wir nach wie vor 'Danke' sagen, aber dann wird viel verspielt sein, viele Menschen werden gestorben sein."