Ukraine-Krieg Aufruf zu "maximal wirksamen Sanktionen"
Der ukrainische Präsident Selenskyj ist dankbar für die Unterstützung, doch beim Weltwirtschaftsforum in Davos forderte er schärfere Sanktionen gegen Russland. Die Kosten für den Wiederaufbau schätzt er auf mehrere Milliarden.
In der Auftaktrede zur Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj "maximal wirksame Sanktionen" gegen Russland gefordert. Nötig sei etwa ein Embargo für russische Energieträger, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache, die im schweizerischen Davos gezeigt wurde.
Erneut forderte Selenskyj, dass mit Russland kein Handel betrieben werden sollte. Die Welt müsse einen Präzedenzfall schaffen. "Die Geschichte ist an einem Wendepunkt", sagte Selenskyj. "Das ist wirklich der Moment, in dem entschieden wird, ob rohe Gewalt die Welt regieren wird."
Für den Wiederaufbau benötige sein Land etwa fünf Milliarden Dollar monatlich. Er erklärte, Zehntausende Leben wären gerettet worden, wenn 100 Prozent der Bedürfnisse der Ukraine im Februar auf einmal gedeckt worden wären. Er bezog sich dabei auf Waffen, Finanzierung, politische Unterstützung und Sanktionen gegen Russland.
"Die Welt glaubt an die Ukraine", sagte er. Selenskyj lud zudem ausländische Unternehmen ein, sich nach dem Ende des Krieges am Wiederaufbau der zerstörten ukrainischen Städte zu beteiligen. Zur Finanzierung solle auch eingefrorener russischer Besitz verwendet werden, schlug er vor.
Verhandlungen zur Lebensmittelversorgung gefordert
Selenskyj berichtete den Teilnehmern, dass bei einem russischen Angriff am 17. Mai in einem Dorf in der Region von Tschernihiw mindestens 87 Menschen getötet worden seien. Die Behörden hätten zunächst von acht Todesopfern und zwölf Verletzten gesprochen, doch unter den Trümmern in der Ortschaft Desna seien inzwischen deutlich mehr Todesopfer entdeckt worden.
Mit Blick auf drohende Hungerkrisen in der Welt forderte Selenskyj zudem Verhandlungen über den Zugang zu blockierten ukrainischen Seehäfen, um von dort dringend benötigte Lebensmittel mit Schiffen ausfahren zu können.
Nach der Rede erhoben sich viele Zuhörer und applaudierten. Bei dem Treffen in der Schweiz diskutieren in diesem Jahr fast 2500 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vier Tage lang über Lösungen für internationale Probleme. Neben der Corona-Pandemie und dem Klimawandel steht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Fokus der Beratungen.
Klitschko: "Wir verteidigen Sie persönlich"
Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, reiste nach Davos und nahm an einer Podiumsveranstaltung teil. Er beschrieb den Widerstand seines Landes im russischen Angriffskrieg als Verteidigung demokratischer Werte und menschlichen Lebens.
Klitschko zeigte während der Veranstaltung zusammen mit seinem Bruder Wladimir auf das Publikum und sagte: "Wir verteidigen Sie persönlich." Er fügte hinzu: "Wir kämpfen zuallererst für Werte" sowie darum, Teil der demokratischen Welt zu sein. Er forderte die Anwesenden auf, "proaktiv zu sein, weil wir dafür bezahlen". Er sprach von Menschenleben als höchstem Preis. Klitschko betonte, die Ukraine brauche Waffen sowie politische und wirtschaftliche Unterstützung.
Ukraine schließt Waffenruhe derzeit aus
Ein sofortiger Waffenstillstand mit Russland ist für die Ukraine gegenwärtig kein Thema. Kiew ist nicht dazu bereit, der Regierung in Moskau territoriale Zugeständnisse zu machen. "Der Krieg muss mit der vollständigen Wiederherstellung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine enden", schrieb der Stabschef des Präsidialamts, Andrij Jermak, auf Twitter.
Russland ist einem Medienbericht zufolge zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit. Voraussetzung sei, dass Kiew eine "konstruktive Position" einnehme, berichtete die Agentur Ria unter Berufung auf den stellvertretenden Außenminister Russlands, Andrej Rudenko.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Auch heute heulten wieder in der gesamten Ukraine Warnsirenen, die russischen Streitkräfte setzten ihre Offensive im Osten und Süden des Landes fort. Vor allem im Donbass und dem Gebiet der Stadt Mykolajiw im Süden tobten zum Teil heftige Kämpfe. Nach Angaben der Regierung in Kiew wurden durch russischen Beschuss mindestens acht Zivilisten getötet. Im Gebiet Donezk wurden demnach mindestens sieben Menschen getötet und acht weitere verletzt. Bei einem Raketenangriff auf Malyn nordwestlich von Kiew sei mindestens ein Mensch getötet worden. In der Nacht gab es unter anderem in Kiew, Charkiw, Awdijiwka sowie in anderen ukrainischen Städten und Regionen Luftalarm und Angriffe.
Selenskyj hatte eingeräumt, dass die Lage in der umkämpften Ostregion Donbass "extrem schwierig" sei. Die heftigsten Gefechte lieferten sich beide Seiten zuletzt im Gebiet der Zwillingsstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk nordwestlich von Luhansk, wie ein Berater des Innenministeriums sagte. Die russischen Truppen versuchen bereits seit Mitte April, die Reihen hier zu schließen und die ukrainischen Verbände einzukesseln.
Serhij Gajdaj, der Gouverneur von Luhansk, sagte im lokalen Fernsehen, die russischen Truppen verfolgten eine Taktik der "verbrannten Erde". Sie wollten Sjewjerodonezk "auslöschen". Die medizinische Versorgung stehe kurz vor dem Zusammenbruch.
Ein Gericht in Kiew verurteilte einen 21 Jahre alten russischen Soldaten zu lebenslanger Haft. Die Richter sahen es nach einem Geständnis des Mannes als erwiesen an, dass er am 28. Februar einen unbewaffneten 62 Jahre alten Zivilisten erschossen hatte.