Neues Gesetz in der Ukraine Mobilmachungsreform soll Armee stärken
Die Ukraine will mit einem neuen Gesetz mehr Rekruten für den Krieg gegen Russland mobilisieren. Denn es gibt kaum noch Freiwillige. Die Regelungen für die Erfassung wehrfähiger Männer werden verschärft.
Um die unter großen Verlusten leidende Armee im Kampf gegen die russischen Invasionstruppen zu stärken, hat das ukrainische Parlament eine Reform der Mobilmachungsregeln verabschiedet. Nach monatelangen Beratungen wurde der umstrittene Gesetzentwurf angenommen.
Die Gesetzesänderung soll es der Regierung in Kiew ermöglichen, mehr Soldaten einzuberufen. Denn die Armee ist an der Front nicht nur wegen eines Mangels an Waffen und Munition, sondern auch an Personal in die Defensive gedrängt worden. Der Abgeordnete Olexander Fedienko sagte, die Verabschiedung des Mobilmachungsgesetzes sei eine "Botschaft an unsere Partner, dass wir bereit sind, unser Territorium zurückzuerobern, und dass wir Waffen brauchen".
Strengere Regelungen für Wehrfähige
Hauptsächlich verschärft die Novelle die Regeln der Erfassung von Wehrfähigen. Mit Inkrafttreten sind alle Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren verpflichtet, während des geltenden Kriegsrechts ihren Wehrpass bei sich zu führen.
Innerhalb von zwei Monaten müssen die Männer auch ihre persönlichen Daten auf den aktuellen Stand bringen, ansonsten drohen Strafen. Neue ukrainische Reisedokumente im Ausland werden künftig nur noch bei vorhandenen Wehrpapieren ausgestellt. Diese sind jedoch nur bei einer Rückkehr in die Ukraine erhältlich.
Neben Geldstrafen für ignorierte Einberufungen und Musterungsbescheide droht zukünftig auch mit wenigen Ausnahmen der Entzug der Fahrerlaubnis. Angedachte Kontosperrungen für diesen Fall wurden verworfen.
Auch nicht im endgültigen Gesetzestext enthalten ist das Recht von Soldaten, nach drei Jahren ihren Dienst zu quittieren. Im Vorfeld hieß es, dass dazu ein gesondertes Gesetz verabschiedet werden soll. Wie umstritten die Verhandlungen über die Gesetzesreform liefen, zeigt, dass nach der ersten Lesung im Februar noch mehr als 4.000 Änderungsanträge eingereicht worden waren.
Eventuell bald Einzug von Straftätern
Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte kürzlich auch ein Gesetz in Kraft gesetzt, welches das Alter für Reservisten von 27 auf 25 Jahre absenkt. Damit können Männer zwischen 25 und 60 Jahren zum Kriegsdienst eingezogen werden. Frauen können sich in der Ukraine freiwillig zum Wehrdienst melden.
Womöglich will die Ukraine bald auch verurteilte Straftäter zum Militär einziehen. Das Parlament hatte am Mittwoch in erster Lesung einer entsprechenden Gesetzesvorlage zugestimmt. Diese sieht vor, dass für Gefängnisinsassen Bewährung in Betracht kommt, wenn sie sich bereit erklären, in die Armee einzutreten. Nicht infrage kommen sollen nach Angaben von Abgeordneten allerdings Häftlinge, die wegen sexueller Gewalt, Mord sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder gegen die nationale Sicherheit verurteilt wurden.
Viele Wehrdienstverweigerer
Nach zwei Jahren Krieg sind die ukrainischen Truppen erschöpft, es melden sich deutlich weniger Freiwillige und es gibt viele Wehrdienstverweigerer. Der Befehlshaber der Bodentruppen, Olexander Pawljuk, rief daher die Ukrainer erst Anfang der Woche eindringlich dazu auf, sich zur Armee zu melden oder bereit zu sein, in der Armee zu dienen.
"Wir müssen begreifen, dass niemand in der Lage sein wird, die Hände in den Schoß zu legen", schrieb Pawljuk auf Facebook. "Egal, wie viel Hilfe wir bekommen, egal, wie viele Waffen wir haben, uns fehlen die Menschen! Die Ausrüstung fährt nicht von selbst, die Waffe schießt nicht von selbst, und die Drohne fliegt nicht von selbst."
Trotz des seit Kriegsbeginn geltenden Ausreiseverbots für Wehrpflichtige sind Zehntausende mit gefälschten Dokumenten über die grüne Grenze ins Ausland geflüchtet. Im Land selbst sind allein in den Gebieten Poltawa, Iwano-Frankiwsk und Tscherniwzi mehr als 70.000 Personen zur Fahndung ausgeschrieben. Bei der Staatsanwaltschaft sind seit Kriegsbeginn mit stark steigender Tendenz über 46.000 Verfahren wegen Desertion und unerlaubtem Entfernen von der Truppe eingeleitet worden. Mehr als ein Viertel davon entfällt auf das erste Quartal 2024.
Armee, Nationalgarde und Grenzschutz haben zusammen gut über eine Million Frauen und Männer unter Waffen. Das verbliebene Mobilisierungspotenzial wurde von dem ukrainischen Portal texty.org.ua auf etwa fünf Millionen geschätzt.