Kämpfe in Region Cherson Ukraine meldet Rückeroberungen
Rund um die Stadt Cherson hat die Ukraine nach eigenen Angaben 41 Ortschaften zurückerobert. Russland erklärte, den Rückzug auf Positionen am linken Ufer des Flusses Dnipro inzwischen abgeschlossen zu haben.
Die ukrainischen Truppen rücken nach eigenen Angaben im Süden des Landes weiter vor. In dem Gebiet rund um die Stadt Cherson seien seit dem 1. Oktober 41 Ortschaften von den russischen Besatzern befreit worden, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache.
Das Tempo des ukrainischen Vormarsches habe sich derart erhöht, dass die Bewohner Chersons "nun fast jede Stunde überprüfen, wo unsere Einheiten hingekommen sind und wo sonst unsere Nationalflagge gehisst worden ist", sagte Selenskyj. "Die Zahl der ukrainischen Flaggen, die im Rahmen der laufenden Verteidigungseinsätze an ihren rechtmäßigen Platz zurückkehren, beläuft sich bereits auf Dutzende." Allein seit Mittwoch seien ukrainische Verbände bis zu sieben Kilometer tief in ehemals von Russen besetztes Gebiet vorgestoßen, berichtete der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj.
Russland: Rückzug aus Cherson abgeschlossen
Die russische Armee schloss nach eigenen Angaben den angekündigten Rückzug aus Cherson und Teilen des Gebietes am Morgen ab. Um 5 Uhr Ortszeit (4 Uhr deutscher Zeit) sei "der Transfer russischer Soldaten ans linke Ufer des Flusses Dnipro beendet" gewesen, teilte das russische Verteidigungsministerium in einer in Online-Diensten veröffentlichten Erklärung mit. "Kein einziges Teil militärischer Ausrüstung und Waffen" sei auf der anderen Flussseite zurückgelassen worden, hieß es darin. Zu den verlassenen Gebieten gehöre auch die Gebietshauptstadt Cherson.
Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti veröffentlichte Aufnahmen von russischen Militärfahrzeugen, die Cherson über die Antonowski-Brücke verließen. Mehrere russische Berichterstatter deuteten an, dass die Brücke danach zerstört worden sei. Dabei blieb allerdings unklar, ob sie von der russischen Armee gesprengt oder von ukrainischen Angriffen getroffen worden sein sollte.
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte am Mittwoch den Rückzug aus Cherson und Teilen der gleichnamigen Region angeordnet. Die Regierung in Moskau sieht das ukrainische Gebiet Cherson auch nach dem Abzug seiner Truppen weiter als russisches Staatsgebiet an. Das Gebiet Cherson bleibe Teil der Russischen Föderation, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. "Dieser Status ist per Gesetz bestimmt und gefestigt. Hier gibt es keine Änderungen und kann es keine geben", sagte Peskow.
Berichte über Verwüstungen durch abziehende Truppen
Bei ihrem Abzug aus Cherson sollen russische Truppen nach Medienberichten die Stadt verwüstet haben. Neben dem Fernsehzentrum seien unter anderem Fernheizungsanlagen und Funkmasten gesprengt worden, berichtete die Online-Zeitung "Ukrajinska Prawda". Zudem sei in der Stadt der Strom komplett ausgefallen, ebenso wie das Internet. Bereits in den vergangenen Tagen waren mehrere Brücken über den Dnipro gesprengt worden.
Russische Angriffstruppen hatten weite Teile der Region Cherson und der gleichnamigen Regionalhauptstadt kurz nach Beginn der Invasion in die Ukraine Ende Februar besetzt. Für die Regierung in Moskau ist die Region strategisch von hoher Bedeutung, um die Offensive in Richtung Mykolajiw und zum Schwarzmeerhafen Odessa fortsetzen zu können. Darüber hinaus liegt in der Region Cherson den Kachowka-Staudamm, der die von Russland annektierte Halbinsel Krim mit Wasser versorgt. Wenn Cherson wieder unter ukrainische Kontrolle stehen sollte, könnten ukrainische Truppen von dort aus mit Artillerie mit großer Reichweite direkt die Krim treffen.
"Der Feind macht uns keine Geschenke"
Selenskyj hatte auf die russischen Ankündigung des Abzugs aus Cherson misstrauisch reagiert. "Der Feind macht uns keine Geschenke, macht keine 'Gesten des guten Willens'", warnte er. "Es ist nicht der Feind, der geht - es sind die Ukrainer, die die Besatzer verjagen", sagte Selenskyj. Gleichzeitig warnte er vor den Gefahren in den nunmehr von den Besatzern aufgegebenen Gebieten. "Die erste und grundlegende Aufgabe ist die Minenräumung", sagte Selenskyj. Die Besatzer ließen Tausende Blindgänger und Munition zurück. Nach seinen Erkenntnissen sind noch rund 170.000 Quadratkilometer des Landes minenverseucht.
US-Präsident Joe Biden wertete die Rückzugsankündigung aus Moskau als Beleg dafür, dass das russische Militär "echte Probleme" im Krieg in der Ukraine habe. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach bereits von einem möglichen "weiteren Sieg" für die Ukraine. "Wir müssen abwarten, wie sich die Situation vor Ort in den kommenden Tagen entwickelt. Klar ist jedoch, dass Russland unter hohem Druck steht und ein Abzug aus Cherson ein weiterer Sieg für die Ukraine wäre", sagte er.