Kämpfe bei Charkiw und Donezk Russland meldet Einnahme von sechs Dörfern
Russland hat den Beginn der Offensive bei Charkiw bestätigt, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Der Kreml meldete die Einnahme von fünf Dörfern in Grenznähe sowie einem Dorf in der Region Donezk. Die Ukraine hält mit Luftangriffen dagegen.
Seit gestern rücken die russischen Truppen in der Region Charkiw vor - die Ukraine spricht von einer groß angelegten Militäraktion. Der Kreml hatte sich bislang weitestgehend bedeckt gehalten, nun bestätigt das russische Verteidigungsministerium die Offensive im Grenzgebiet.
Russische Truppen hätten fünf ukrainische Grenzdörfer besetzt, teilte die Behörde mit. Es handele sich um die Dörfer Striletsche, Krasne, Pylne und Boryssiwka, die etwa 30 Kilometer nördlich von Charkiw in der Nähe des Ortes Lipzy liegen, sowie Ohirzewe bei der Stadt Wowtschansk. Zudem sei in der Region Donezk das Dorf Keramik unter russische Kontrolle gebracht worden.
Die Angaben zur Einnahme der Dörfer in der Region Charkiw decken sich mit inoffiziellen ukrainischen Militärangaben. Eine offizielle Bestätigung der ukrainischen Regierung gibt es jedoch nicht.
Russland will 34 Soldaten gefangen genommen haben
Die russische Armee gibt an, eine hohe Zahl an ukrainischen Soldaten getötet und deren Technik vernichtet zu haben. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht. Zudem meldete der Kreml, dass 34 ukrainische Soldaten gefangen genommen wurden.
Auf russischen Telegram-Kanälen wurden Fotos von mutmaßlich gefangen genommenen ukrainischen Soldaten veröffentlicht, nach humanitärem Völkerrecht ist das verboten. Die Authentizität der Bilder und die genaue Zahl der Gefangenen lässt sich aktuell nicht überprüfen.
Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Massive Angriffe in mehr als 30 Städten und Dörfern
Russland setzt in der Region auf massive Artillerie-, Mörser- und Luftangriffe. Mehr als 30 Städte und Dörfer wurden nach Angaben des Gouverneurs in Charkiw, Oleh Syniehubov, heute angegriffen. Mindestens drei Menschen seien getötet und fünf weitere verletzt worden.
In den Gebieten um Boryssiwka, Ohirzewe, Pylne und Oliinykowe finden laut dem Gouverneur weiterhin schwere Kämpfe statt, die Situation sei jedoch unter Kontrolle. Es bestünde keine Gefahr eines Bodenangriffs auf die Millionenstadt Charkiw.
Ukraine setzt offenbar auf verstärkte Luftangriffe
Die ukrainischen Streitkräfte reagieren offenbar in erster Linie mit Luftangriffen. In der Nacht auf Samstag sei "eine Flut von Drohnen und Raketen" abgefeuert worden, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Russische Luftverteidigungssysteme haben demnach 21 Raketen und 16 Drohnen über den Regionen Belgorod, Kursk und Wolgograd abgeschossen. Eine Person sei bei einem Drohnenangriff in der Region Belgorod und eine weitere in der Region Kursk gestorben, teilten lokale Beamte mit.
Bei einem weiteren Angriff sei ein Öldepot in der von Russland besetzten Region Luhansk in der Ukraine in Brand gesetzt worden. Dabei seien vier Menschen getötet und acht weitere verletzt worden, sagte Leonid Pasechnik, der von Moskau eingesetzte Verwalter der Region.
Auch in der von Russland besetzten Region Donezk sei es zu Beschuss gekommen. Drei Menschen starben laut den örtlichen von Russland eingesetzten Behörden, als eine Explosion ein Restaurant erschütterte. Acht weitere Menschen seien verletzt worden, darunter ein Kind.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Russland will Ukraine offenbar zur Truppenverlegung bewegen
Ukrainische und russische Militärbeobachter wie auch ausländische Experten gehen davon aus, dass der russische Vorstoß in der Region Charkiw noch nicht auf die Millionenstadt selbst zielt. Nach Angaben eines hochrangigen ukrainischen Militärvertreters ist das Ziel der russischen Armee, eine Pufferzone in den Regionen Charkiw und Sumy zu errichten, um das ukrainische Militär daran zu hindern, die auf russischer Seite gelegene Region Belgorod weiter unter Beschuss zu nehmen.
Auch das Institut für Kriegsstudien ISW in den USA geht von "begrenzten operativen Zielen" aus. Das strategisches Ziel sei es, die Ukrainer zu zwingen, Soldaten und Material von anderen bedrängten Abschnitten der Front im Osten abzuziehen. Der begrenzte Einsatz lege nicht nahe, "dass russische Kräfte in großem Maßstab eine Offensivoperation durchführen, um Charkiw einzuschließen, einzukreisen oder zu erobern", schrieb das ISW.
Das russische Militär könnte auch versuchen, wichtige Versorgungswege zu unterbrechen und Charkiw zu blockieren, wo etwa 1,1 Millionen Menschen leben. Die Stadt liegt nur etwa 30 Kilometer von den aktuellen Kämpfen entfernt.