Krieg gegen Ukraine Massive Angriffe - AKW wieder im Notbetrieb
Luftalarm, Raketenbeschuss und Explosionen: Die Ukraine meldet massive Angriffe der russischen Armee in vielen Städten und Regionen. Menschen wurden aus dem Schlaf gerissen. Das Atomkraftwerk Saporischschja musste vom Netz getrennt werden.
Aus weiten Teilen der Ukraine sind in der Nacht und am Morgen teils massive Raketenangriffe gemeldet worden. Lokalen Behörden und Medien zufolge hatten die Angriffe wohl erneut vorrangig Einrichtungen zum Ziel, die der Energieversorgung dienen. In mehreren Regionen kam es demnach zu Stromausfällen. Die ukrainische Eisenbahngesellschaft meldete ebenfalls Einschränkungen und Verspätungen wegen Stromausfällen.
Sowohl aus dem Süden, Norden als auch im Westen der Ukraine wurde Beschuss durch russische Raketen gemeldet. Auch die Hauptstadt Kiew war betroffen. Landesweit wurde Luftalarm ausgelöst.
Über den Online-Nachrichtendienst Telegram teilte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko mit, dass vor allem der Bezirk Holosijiw im Süden der Stadt von Raketen getroffen worden sei. Rettungskräfte seien im Einsatz. Nach Angaben der Militärverwaltung in Kiew wurden durch Notabschaltungen des Stromnetzes etwa 40 Prozent der Stadtbevölkerung zeitweise von der Versorgung abgeschnitten.
AKW Saporischschja läuft mit Notversorgung
Im Süden der Ukraine musste das Atomkraftwerk Saporischschja nahe der Stadt Enerhodar ein weiteres Mal vom Netz genommen werden. Nun wird die von russischen Truppen besetzte Anlage mittels Dieselgeneratoren mit Strom versorgt, teilte der ukrainische Betreiber Enerhoatom mit. Der Kraftstoff reiche für zehn Tage. Angaben des Unternehmens zufolge ist es bereits das sechste Mal seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, dass das AKW in den Notbetrieb gehen musste.
Auch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA gab an, das AKW sei seit 5 Uhr am Donnerstagmorgen komplett von der externen Stromversorgung abgeschnitten. Die Notversorgung mittels der Dieselgeneratoren sei "eine letzte Verteidigungslinie, um eine Kernschmelze durch Überhitzung" zu verhindern. IAEA-Chef Rafael Grossi drängte darauf, eine Sicherheitszone rund um das Kraftwerk einzurichten. Mit Blick auf die wiederholte Trennung des AKW von der Stromversorgung warnte er, dass "uns das Glück eines Tages verlassen wird".
In nahezu allen Landesteilen Berichte über Angriffe
In der westlichen Region Lwiw wurden nach Angaben des Gouverneurs Maxym Kosyzki mehrere Menschen bei den Angriffen getötet. In einem Wohngebiet im Bezirk Solotschiw wurden demnach drei Wohnhäuser von Raketen getroffen. Kosyzki sprach zunächst von mindestens vier Todesopfern - zwei Männern und zwei Frauen. Später berichtete die Agentur Reuters unter Berufung auf örtliche Rettungskräfte von mindestens sechs Menschen, die in der Region durch die Angriffe ums Leben gekommen seien.
Der Gouverneur der östlichen Region Dnipropetrowsk, Sergij Lysak, sprach auf Telegram von mindestens einem Todesopfer. Es handele sich um einen 34 Jahre alten Mann. Zudem seien eine 28-jährige Frau und ein 19-Jähriger verletzt worden.
Auch die ebenfalls im Süden der Ukraine gelegene Hafenstadt Odessa war Ziel der Raketenangriffe, wie der Gouverneur der gleichnamigen Region, Maxym Martschenko, mitteilte. Durch den Beschuss seien "die regionale Energie-Infrastruktur und Wohngebäude" beschädigt worden. Todesopfer habe es "glücklicherweise keine" gegeben. Wie die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Rettungskräfte berichtete, seien mindestens zwei Menschen verletzt worden.
Aus der Stadt Charkiw sowie in deren Umgebung im Nordosten des Landes wurden mindestens 15 Angriffe gemeldet. Dadurch sei ebenfalls eine für die Stromversorgung nötige Einrichtung sowie ein Wohnhaus beschädigt worden, so Gouverneur Oleh Synjehubow. Charkiws Bürgermeister, Ihor Terechow, berichtete auf Telegram, es gebe in einigen Teilen der Stadt Probleme mit der Elektrizität.
Weitere Angriffe wurden aus der Stadt Tschernihiw im Norden sowie aus den Städten Luzk und Riwne gemeldet. Auch in den in den Regionen Iwano-Frankiwsk und Ternopil berichteten Medien von Explosionen.
Eine "schwere Nacht" für die Ukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach den Angehörigen der bei den Angriffen getöteten Bürgerinnen und Bürgern in einer über Telegram veröffentlichten Botschaft sein Beileid aus. Es sei eine "schwere Nacht" gewesen. Landesweit habe es Einschläge von Raketen gegeben, insgesamt habe Russland 81 Geschosse auf Ziele in der Ukraine abgefeuert.
Abermals warf Selenskyj Russland vor, die ukrainische Bevölkerung mit solchen Angriffen zu "terrorisieren". Doch diese "klägliche Taktik" werde nicht helfen, den Krieg zu gewinnen.
Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte bestätigte die Zahl von mindestens 81 abgefeuerten Raketen. Davon hätte die ukrainische Luftabwehr 34 abfangen können. Des Weiteren seien mehrere Drohnen aus iranischer Produktion über der Ukraine abgeschossen worden. Zu Raketenangriffen solchen Ausmaßes war es laut der Nachrichtenagentur dpa in der Ukraine zuletzt Mitte Februar gekommen.
Kampf um Bachmut von "besonderer strategischer Bedeutung"
Die schwersten Kämpfe in dem mittlerweile seit mehr als einem Jahr andauernden russischen Angriffskrieg gibt es derzeit rund um die Stadt Bachmut. Berichte von der Front lassen sich nur schwer verifizieren. Neuesten Angaben der für das russische Militär agierenden Söldnertruppe Wagner sollen eigene Kämpfer inzwischen den gesamten Ostteil der Stadt eingenommen haben. Von ukrainischer Seite wurde das bislang nicht bestätigt.
In einem Interview mit dem US-Sender CNN sprach Selenskyj Bachmut eine besondere strategische Bedeutung zu. Sollten die russischen Truppen die Stadt einnehmen, könnten sie weiter vorrücken, warnte Selenskyj - nach Kramatorsk oder nach Slowjansk. Die stellvertretende Verteidigungsministerin der Ukraine, Hanna Maljar, werte es bereits als Erfolg, dass die eigenen Truppen ihre Stellung rund um Bachmut seit Monaten verteidigen könnten.
Doch Selenskyj forderte angesichts der für das eigene Militär kritischer werdenden Lage auf mehr internationale Unterstützung, allem voran auf weitere Waffenlieferung. Zudem verwies er erneut darauf, dass sein Land auch Kampfjets vom Westen erhalten müsse und nannte diesen Schritt "kriegsentscheidend".
Auch der slowakische Verteidigungsminister Jaroslaw Nad drängte in einem Beitrag auf Facebook darauf, dass sein Land die Ukraine mit der Lieferung von MiG-29-Kampfjets unterstützen solle. Nad zufolge habe auch Polen signalisiert, der Lieferung von Kampfflugzeugen zustimmen zu wollen. Die Bundesregierung lehnt es derzeit ab, Kampfjets an die Ukraine zu schicken.