Krieg gegen die Ukraine Russland setzt Hyperschallrakete ein
Moskau hat den Einsatz einer Hyperschallrakete bestätigt, sie soll ein Munitionsdepot getroffen haben. In Mariupol wurde offenbar ein Stahlwerk bombardiert. In Mykolajiw werden nach dem Beschuss einer Kaserne viele Tote befürchtet.
In der vierten Woche seines Krieges gegen die Ukraine hat das russische Militär nach eigenen Angaben die Hyperschallrakete "Kinschal" im Kampf eingesetzt. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konoschenkow, erklärte, mit der ballistischen Luft-Boden-Rakete sei ein unterirdisches Munitionsdepot der ukrainischen Luftwaffe in der westlichen Region Iwano-Frankiwsk zerstört worden.
Bisher waren die Waffen vor allem bei Manövern zum Einsatz gekommen. Abgeschossen werden die "Kinschal"-Raketen von Kampfflugzeugen des Typs MiG-31. Sie können nach russischen Angaben Ziele in bis zu 2000 Kilometern Entfernung treffen, unter Umgehung aller Luftabwehrsysteme - auch der in Europa stationierten US-Abwehr. Präsident Wladimir Putin bezeichnete sie als unbesiegbar. Hyperschallraketen übertreffen die Schallgeschwindigkeit um ein Mehrfaches und fliegen mit mehr als 6000 Kilometern pro Stunde.
Generalmajor Konaschenkow sagte zudem, die russischen Streitkräfte hätten in der Region Odessa am Schwarzen Meer das Schiffsabwehr-Raketensystem "Bastion" eingesetzt. Dort seien zwei Stützpunkte der militärischen Aufklärung zerstört worden.
Viele Tote in Mykolajiw befürchtet
Die ukrainische Seite berichtet von einem russischen Luftangriff auf eine Militärkaserne in Mykolajiw - unweit von Odessa. Augenzeugen zufolge wurden dabei am Freitag viele Menschen getötet. "Nicht weniger als 200 Soldaten schliefen in den Baracken", sagte ein 22-jähriger Soldat der Nachrichtenagentur AFP am Tag nach dem Raketenangriff. "Mindestens 50 Leichen wurden aus den Trümmern gezogen, aber wir wissen nicht, wie viele dort noch liegen." Die Rettungsarbeiten dauerten an. Die Russen "führten feige Raketenangriffe auf schlafende Soldaten durch", sagte der Regionalgouverneur von Mykolajiw, Vitali Kim in einem auf Facebook veröffentlichten Video. Er warte auf Informationen über Verluste der ukrainischen Streitkräfte.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Der Bürgermeister von Mykolajiw, Oleksij Senkewjtsch, sagte ukrainischen Medien, dass die Stadt, die vor dem Krieg fast eine halbe Million Einwohner zählte, aus der benachbarten, von Russland kontrollierten Region Cherson bombardiert worden sei. "Die Bombardierung geschieht zu schnell, um sie zu erfassen und das Alarmsystem in Gang zu setzen", sagte er.
Rund um Mykolajiw gibt es heftige Kämpfe. Die Stadt gilt als strategisch wichtig,für den Schutz von Odessa. Diese strategisch wichtige Hafenmetropole am Schwarzen Meer liegt weiter westlich. Würden die russischen Truppen auch dort vorankommen, könnten sie die Ukraine vom Zugang zu den Meeren abschneiden.
Fluchtkorridore für Mariupol und andere Krisengebiete
Weiter östlich hoffen im belagerten Mariupol weiter Bewohner darauf, die Stadt sicher verlassen zu können. Dort und in weiteren besonders umkämpften Gebieten sind nach Angaben der Kiewer Führung zehn Fluchtkorridore für die Zivilbevölkerung eingerichtet worden. Darauf habe man sich mit Russland verständigt. Einer der Korridore führe aus Mariupol im Süden in Richtung der Stadt Saporischschja, sagte Vizeregierungschefin Irina Wereschtschuk. An der Zwischenstation Berdjansk sollten die Flüchtlinge mit Bussen abgeholt werden, dort würden auch Hilfsgüter übergeben.
Seit mehreren Tagen versuchen Bewohner, auf eigene Faust aus der Stadt zu fliehen. Auf Satellitenaufnahmen an der Ausfahrt aus Mariupol sind dichte Autoschlangen zu sehen. Heute konnten fast 500 Einwohner von Mariupol Saporischschja in der Zentralukraine erreichen. Das teilte der Stadtrat mit. Die Zivilisten, darunter auch Kinder, wurden offenbar mit Evakuierungsbussen über einen Umweg gefahren.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Größter Stahlhersteller Europas wohl zerstört
Während die Menschen also versuchen, aus Mariupol herauskommen, melden ukrainische Medien Kämpfe um eines der wichtigsten Stahlwerke der Ukraine. Asowstahl liegt an der Küste des Asowschen Meeres in Mariupol und galt als einer der größten Stahlhersteller in Europa. Das Werk wurde demnach aus der Luft bombardiert.
"So, wie es aussieht, haben wir diesen Wirtschaftsriesen verloren. Eine der größten Fabriken Europas wird tatsächlich zerstört," sagte der Berater des ukrainischen Innenministers, Vadim Denissenko. Die Lage sei katastrophal. Die ukrainischen Streitkräfte versuchten aktuell trotzdem, eine Besetzung des Werksgeländes zu verhindern und die russischen Truppen vom Eindringen in die Stadt abzuhalten. Diese sollen bisher nur einen Bezirk von Mariupol erobert haben.
Mariupol weiter unter russischer Blockade
Auch Oleksij Arestowitsch, der das Präsidialamt berät, schätzt die Lage der Stadt eher düster ein: Es könne derzeit keine Rede davon sein, dass sich Mariupol aus der russischen Blockade befreien könne. Laut Arestowitsch hat die russische Luftwaffe die Gegend gut im Visier. Sie habe kurze Anflugwege von der Krim und aus Rostow-am-Don. Das russische Militär habe dort außerdem eine mächtige Luftabwehr aufgebaut, sagte Arestowitsch.
Weitere Fluchtkorridore sind laut ukrainischer Seite im umkämpften Gebiet Luhansk im Osten in die Stadt Bachmut vereinbart. Gleiches gelte für Dörfer und Städte rund um die Hauptstadt Kiew. Die Routen werden für jeden Tag neu angekündigt.
In seiner nächtlichen Videoansprache hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt, russische Streitkräfte blockierten die größten Städte, um so miserable Bedingungen zu schaffen, dass die Ukrainer kooperierten. Er sagte, die Russen verhinderten es, dass Lieferungen die eingekreisten Städte im Zentrum des Landes sowie im Südosten erreichten.
"Mehr zivile Opfer als militärische Verluste"
Der ukrainische Innenminister erwartet auch deshalb für die kommenden Tage eine Verschärfung der humanitären Krise in den kritischen Gebieten. Denys Monastyrskyj sagte der Nachrichtenagentur AP am Freitag, dass die Zahl der zivilen Opfer schon jetzt deutlich die Verluste des Militärs übersteige.
Mit Blick auf die Situation der ukrainischen Zivilbevölkerung erklärte er, dass sein Ministerium versuche, gegen Gruppen russischer Saboteure vorzugehen, die auf Brücken, Gas-Pipelines und andere Infrastruktur abzielten. Dutzende solcher Gruppen seien in der Ukraine aktiv gewesen. "Wir erkennen, dass Sabotage ein Schlüsselinstrument in dem Krieg ist", sagte er. Ukrainische Kräfte seien durch die Nachverfolgung russischer Mobiltelefone Saboteuren auf die Schliche gekommen.
In besetzten Gebieten versuchten die russischen Streitkräfte, Druck auf Menschen auszuüben. Die Russen seien von massiven Protesten in Berdjansk, Melitopol, Cherson und anderen besetzten Städten überrascht worden. Sie hätten erwartet, von Menschen mit russischer Muttersprache vor Ort willkommen geheißen zu werden. "Sie standen Zivilisten gegenüber, die Russisch sprechen, aber für die Ukraine stehen", sagte er. "Sie erkennen jetzt, dass sie einen großen Fehler gemacht haben."
Nach ukrainischen Angaben ist die Lage im Süden und Osten des Landes weiter am kompliziertesten. Die russischen Truppen scheinen sich demnach neben der Region um Mykolajiw auf die Stadt Cherson in der Nähe der Krim sowie Wolnowacha und Isjum in der Ostukraine zu konzentrieren. Laut Präsidentenberater Arestowitsch gehen die Kämpfe unvermindert weiter. An der allgemeinen Lage habe sich in den vergangenen 24 Stunden nichts geändert.