Stromausfälle in Ukraine befürchtet Leben in Kälte und Dunkelheit
Die Ukraine rechnet wieder mit gezielten russischen Angriffen auf die Energieinfrastruktur. Zwar fühlen sich die Menschen besser vorbereitet als im vergangenen Winter. Doch die Technik sei angeschlagen, warnen Experten.
Maria Romanjuk zeigt in die Ecke der kleinen Küche, dann an die Decke. Extra Beleuchtung hängt da, betrieben mit einem Generator, in der Ecke stehen ein Gasherd und eine Gasflasche. Die 32-Jährige hat die Küche in ihrem kleinen Restaurant auf den mittlerweile dritten Kriegswinter in Kiew vorbereitet.
Der ukrainische Geheimdienst warnt vor erneuten russischen Angriffswellen auf die Energieinfrastruktur des Landes. Im September fiel nach einem Angriff im zentralukrainischen Riwne bereits für einige Stunden der Strom aus.
Alltag mit stundenlangen Stromausfällen
Im vergangenen Jahr habe Russland nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft 255 Mal Umspannwerke, Transformatoren oder Heizwerke mit Raketen und Drohnen beschossen. In der Folge kam es in vielen Landesteilen zu stundenlangen Unterbrechungen der Strom- und Wasserversorgung. Auch Heizungen oder das Internet funktionierten oft nicht.
"Das war schwierig. Wir wussten nicht, was wir machen sollten. Wie wir so überhaupt arbeiten sollten", erzählt Romanjuk über die Zeit, als die Menschen in der Ukraine plötzlich lernen mussten, ihren Alltag ohne Internet, fließendes Wasser, Heizung und vor allem ohne Strom zu bestreiten. In diesem Winter aber fühlen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer besser vorbereitet.
Unternehmer haben sich vorbereitet
Wie Maria Romanjuk haben Restaurantbesitzer und der Einzelhändler ihre Unternehmen mit Generatoren, Batterien und Heizstrahlern ausgestattet. Viele Menschen horten zudem Leitungswasser, falls beispielsweise die Klospülung nicht mehr funktioniert. "Wenn wir keinen Strom haben, dann funktioniert die Lüftung in der Küche nicht. Also müssen wir das Fenster öffnen und in der Kälte arbeiten. Aber immerhin arbeiten wir", sagt Romanjuk.
Und das ist wichtig für den kleinen Betrieb. Insgesamt zwei Restaurants führt Romanjuk in Kiew. Das zweite eröffnete sie nur wenigen Monate, bevor die russischen Angriffe auf die Umspannwerke und Wärmeanlagen begannen. Finanzhilfen vom Staat habe sie nicht erhalten, sagt sie. Die Generatoren und den Gasherd habe sie wie viele andere von ihren Rücklagen finanzieren müssen. Die Sorgen vor dem nächsten Winter bleiben dennoch. "Wir wissen nicht, was wir zu erwarten haben", sagt Romanjuk.
Resilienz des Systems deutlich zurückgegangen
Die Besucherzahlen seien im vergangenen Winter um 50 Prozent eingebrochen. Denn Maria Romanjuks Café befindet sich in einem Wohnkomplexen im Westen von Kiew. Bis zu 20 Stockwerke haben viele der Gebäude. Wenn hier der Strom ausfällt, dann funktionieren auch die Fahrstühle nicht. Und so seien viele Gäste zunächst fern geblieben, erklärt sie.
Auch der Energieexperte Oleksandr Chartschenko macht sich Sorgen. "Die Energieinfrastruktur ist nicht mehr so resilient wie im vergangenen Jahr", sagt er. Wo ein Umspannwerk im vergangenen Winter über drei Transformatoren verfügt habe, seien es heute im besten Fall zwei, und im schlechtesten Fall nur einer. Das heißt, es gebe keine Reserven mehr, erklärt Chartschenko. Und Lieferungen neuer Ersatztransformatoren aus dem Westen werden erst in den kommenden Wochen und Monaten erwartet.
Mehr Luftverteidigung benötigt
"Das Gute ist, wenn unsere Technik dann von den Russen zerstört wird, dann haben wir immerhin Ersatz." Aber einen beschädigten Transformator auszutauschen, dauere allein technisch bis zu zwei Wochen. Und aufgrund der Schäden aus dem vergangenen Jahr könne vielerorts nicht mehr auf Reservetransformatoren umgeschaltet werden. Diese seien bereits im Einsatz und ermöglichen es der Ukraine aktuell, die Menschen mit dem benötigten Strom zu versorgen.
Umso wichtiger sei die Luftverteidigung, sagt Oleksandr Chartschenko. "Das einzige, das jetzt noch rechtzeitig hilft, sind 'Geparde' und andere Luftverteidigungsmittel." Der deutsche Flugabwehrpanzer 'Gepard' hat sich im vergangenen Jahr als äußert effektiv in der Abwehr von Drohnen bewährt. Aber zusätzlich hat die Ukraine weitere passive Schutzmechanismen entwickelt.
Weltweit einzigartiges Schutzsystem
Sandsäcke und Gabionen sollen gegen Druckwellen und herumfliegende Trümmerteile helfen. Zusätzlich sollen riesige, netzartige Konstruktionen um und über den Umspannwerken Drohnen abfangen. Inwieweit diese Schutzmechanismen wirklich funktionieren, ist jedoch nicht bekannt. "Die Schutzwälle aus Gabionen und Sandsäcken haben sich aber schon als sehr effektiv erwiesen", meint Chartschenko.
Wolodymyr Kudryzkyj, Chef des staatlichen Netzbetreibers Ukrenergo, spricht gegenüber ukrainischen Medien von einem einzigartigen Schutzsystem. "Bestimmte Schutzmechanismen sind weltweit so noch nicht eingesetzt worden, weil niemand bisher einer solchen Bedrohung ausgesetzt war."
Spezielle Geräte und Ersatzteile benötigt
Aktuell plane die Ukraine noch keine geplanten Stromabschaltungen wie im vergangenen Jahr. "Aber wenn die Russen zuschlagen, werden wir der Situation entsprechend handeln", wird Kudryzkyj in ukrainischen Medien zitiert. Die geplanten und oft stundenlangen Abschaltungen waren im vergangenen Jahr notwendig, um Verteilungsprobleme als Folge der Angriffe zu lösen. Online konnten sich die Ukrainerinnen und Ukrainer darüber informieren, wann der Strom in ihren Wohnungen an- oder abgeschaltet werden sollte.
Neben mehr Luftverteidigungssystemen und entsprechender Munition benötige die Ukraine Ersatzteile, Transformatoren und massive Generatoren, um ganze Häuserblocks mit Strom zu versorgen. "Leute, bitte schickt keine Decken oder Kleidung", sagt Experte Chartschenko. Humanitäre Hilfe in dieser Form sei zwar gut gemeint, aber wirkungslos. "Wir brauchen spezielle Geräte und Ersatzteile."
Mehr als 480 Siedlungen ohne Strom
Romanjuk hofft, dass die möglichen Angriffe und ihre Folgen in diesem Winter nicht so verheerend sein werden. "Aber man weiß nie. Vielleicht kommen in diesem Winter neue Probleme."
In der Hauptstadt ist die Situation verhältnismäßig komfortabel. In den Frontgebieten jedoch sind nach Angaben von Ukrenergo wegen des Krieges mehr als 480 Siedlungen ganz von der Stromversorgung abgeschnitten. Wegen der anhaltenden Kampfhandlungen kann die Versorgung vielerorts nicht wieder hergestellt werden.