Parlamentswahl "Schicksalswahl" um Ungarns Demokratie
Ungarns Opposition ist eine bunte Notgemeinschaft, Premier Orban gibt den besonnenen Landesvater. Bei der heutigen Parlamentswahl entscheidet sich, was den Ungarn wichtiger ist: Demokratie oder ihr Sicherheitsgefühl.
Das ist für lange Zeit die vielleicht letzte Chance, Ungarn wieder demokratisch aufzustellen und wieder näher an Europa zu rücken - so sieht die Opposition diese Parlamentswahl. "Es ist wirklich eine Schicksalswahl, um die gut funktionierende bürgerliche Demokratie in Ungarn wieder herzustellen - Medienfreiheit, akademische Freiheit", sagt Kolomann Brenner. "Und ich meine, es ist wichtig zu sehen, dass das wirklich keine Wahl zwischen rechts und links ist, sondern die Wahl zwischen Demokraten und Antidemokraten."
Brenner ist einer der Vizepräsidenten im ungarischen Parlament, Vordenker der Jobbik-Partei, einer der sechs Parteien des Anti-Orbán-Bündnisses. Jobbik? Ja, das waren die Rechtsextremisten, räumt Brenner ein, aber die Schlägertrupps habe man aus der Partei geworfen, man sei jetzt "christdemokratisch", auf jeden Fall bündnisfähig auch mit früher erbitterten politischen Gegnern wie Sozialisten oder Sozialdemokraten.
Opposition musste zusammenwachsen
Diese bunte Notgemeinschaft hat sich auf einen gemeinsamen Spitzenkandidaten geeinigt: Péter Márki-Zay, konservativ, früher selbst Orbán-Fan, wählbar also auch für Fidesz-Wähler. Das sprach für ihn. Aber Márki-Zay hatte erstmal Mühe, den Laden zusammenzuhalten: "Zuerst muss ich die sechs Parteien überzeugen, dass sie alle zusammenhelfen mit ihren Experten, ihren Anstrengungen, ihren Freiwilligen", sagte er schon kurz nach der Vorwahl.
Es ist wie David gegen Goliath - Pèter gegen Viktor, den ungarischen Regierungschef mit seiner übermächtigen Fidesz-Partei, die sich den Staat untertan gemacht hat - die Medien, die Schlüsselpositionen, die Hoheit über die Plakatflächen. Trotzdem ist im Wahlkampf fast immer von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Regierung und Opposition die Rede.
Orban gibt den starken Landesvater
Und dann kam der Krieg: Russlands Angriff auf die Ukraine, kurz nachdem Orbán in Moskau war, bei seinem Gas- und Öl-Lieferanten und seinem politischen Freund Wladimir Putin. Eine schwierige Situation für Orbán. Er greift zu Ablenkungsmanövern, sein Vertrauter und Kanzleramtsminister Gergely Gulyás zeigt dabei auch auf Deutschland: Die frühere Kanzlerin Angela Merkel sei doch viel häufiger bei Putin gewesen als Orbán, unkt er.
Orbán wechselt die Strategie: Er eilt an die Grenze zur Ukraine, heißt die vertriebenen Nachbarn willkommen, schaut ernst in die Ferne auf den neuen Wahlplakaten - Orbán gibt den starken Landesvater, der sich neutral heraushalten will aus dem Krieg im Nachbarland, obwohl Ungarn EU- und NATO-Mitglied ist.
Im Land kommt das offenbar an, auch bei den Kandidaten, die für die regierende Fidesz um Direktmandate kämpfen - wie Zolt Németh, der in Budapest antritt: "Orbán hat das sehr klar gemacht, dass der Krieg eine neue Situation geschaffen hat. Was zuvor war, ist die eine Sache und was wir jetzt haben, ist eine andere. Das ist Teil der Vergangenheit."
So will Orbán seine Zukunft sichern. Das Kalkül: Die Wähler wollen keinen Wechsel in Krisenzeiten. Gut möglich, dass die Opposition als Verlierer daraus hervorgeht.