Zur Verteidigung von Charkiw US-Waffen auch für Angriffe auf Russland erlaubt
Ob die Ukraine westliche Waffen auch für Angriffe auf Ziele in Russland nutzen können sollte, wird derzeit kontrovers diskutiert. Die USA haben nun offenbar einen wichtigen Schritt gemacht.
Die US-Regierung hat der Ukraine übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge im Stillen die Erlaubnis erteilt, US-Waffen in begrenztem Umfang gegen Ziele auf russischem Territorium einzusetzen.
Dies gelte ausschließlich für Gegenschläge zur Verteidigung der ostukrainischen Großstadt Charkiw, berichteten unter anderem das Nachrichtenmagazin "Politico" und der Sender CNN. Das ukrainische Militär solle in die Lage versetzt werden, gegen russische Streitkräfte vorzugehen, "die sie angreifen oder sich vorbereiten, sie anzugreifen", zitierte "Politico" einen US-Regierungsvertreter.
Die USA stellen der Ukraine ihre Waffen bislang zur Verfügung, damit diese ihre besetzten Gebiete befreit, aber nicht für Angriffe auf militärische Ziele in Russland selbst. An der generellen US-Position, dass die Ukraine amerikanische Waffen nicht für offensive Angriffe gegen russische Ziele einsetzen soll, hat sich nichts geändert - trotz der nun bekanntgewordenen Ausnahme.
Debatte um Einsatz von westlichen Waffen in Russland
Ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte, wird derzeit unter NATO-Staaten kontrovers diskutiert. Die Ukraine fordert dies seit längerem, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg effektiver zu bekämpfen. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bisher in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak warb erneut dafür, vom Westen gelieferte Waffen gegen militärische Ziele in Russland einsetzen zu können. Dies entspreche dem Völkerrecht, sagte der Berater des ukrainischen Präsidentenbürochefs Andrij Jermak in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". Podoljak warf Russland eine komplette Eskalation des Krieges gegen sein Land vor. Um Moskau zu stoppen, müsse die Ukraine auch Militäreinrichtungen in Russland zerstören können.
Stoltenberg wirbt für teilweise Aufhebung von Beschränkungen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte nach den tödlichen Bombenangriffen auf die grenznahe Großstadt Charkiw das Recht auf einen Einsatz westlicher Waffen gegen russisches Gebiet gefordert. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warb zuletzt nahezu täglich dafür, bestehende Beschränkungen für ukrainische Angriffe zumindest teilweise aufzuheben.
Länder wie die USA und Deutschland haben die Abgabe von bestimmten Systemen nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass der Konflikt mit Russland weiter eskalieren und die NATO zur Kriegspartei werden könnte.
Konkret geht es bei den Auflagen nach Angaben von Militärs unter anderem darum, dass die Ukraine mit Flugabwehrraketensystemen von Typ "Patriot" keine russischen Kampfflugzeuge im russischen Luftraum abschießen darf, um zu verhindern, dass diese Raketen oder Gleitbomben auf die Ukraine abfeuern.
Blinken signalisierte Kursänderung
Am Mittwoch hatte US-Außenminister Antony Blinken eine mögliche Kursänderung in der Frage angedeutet. Bei einem Besuch in Moldau signalisierte er, dass die USA womöglich von ihrer rigorosen Ablehnung ukrainischer Schläge gegen Ziele auf russischem Boden abrücken könnten.
Seit Beginn des Krieges habe die US-Regierung ihre Unterstützung für die Ukraine ständig an die sich verändernden Bedingungen auf dem Schlachtfeld angepasst "und bei Bedarf nachgebessert", sagte er dort. "Und genau das werden wir auch in Zukunft tun." Die USA hörten zu, lernten hinzu und träfen immer neue Entscheidungen dazu, was nötig sei, um sicherzustellen, dass die Ukraine sich effektiv verteidigen könne, betonte Blinken in Moldau.
Seine Äußerungen stießen am Donnerstag auf großes Interesse bei einem NATO-Außenministertreffen in Prag - wie auch im Kreml. Das Völkerrecht erlaubt es angegriffenen Staaten nach Ansicht von Experten, Aggressoren auch auf ihrem eigenen Territorium zu attackieren, um sich zu verteidigen. Woher die Waffen stammen, ist dabei rein rechtlich gesehen nicht relevant. Die USA sind der wichtigste Waffenlieferant für Kiew - daher ist von besonderer Bedeutung, mit welchem Kurs die Amerikaner vorangehen.
Russland warnt
Der Kreml hatte am Donnerstag erneut davor gewarnt, der Ukraine zu erlauben, mit westlichen Waffen Ziele in Russland anzugreifen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte: "Dies alles wird natürlich unweigerlich seine Folgen haben." Es werde letztlich "den Interessen jener Länder sehr schaden, die den Weg der Eskalation der Spannungen eingeschlagen haben". Die Staaten der NATO, allen voran die USA, wählten mit "kriegerischen Äußerungen" absichtlich einen Eskalationskurs. Die Atommacht droht immer wieder, ihre Interessen unter Einsatz aller Mittel zu verteidigen.