Wehrpflicht-Debatte Alle Schweden leisten Dienst - mit oder ohne Waffe
Deutschland debattiert über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Schweden hat die Kehrtwende bereits 2017 eingeleitet. Bei der Akzeptanz hilft auch die allgemeine Dienstpflicht.
Zum 18. Geburtstag erhalten Schwedinnen und Schweden nicht nur Glückwünsche, sondern auch Post von der Musterungsbehörde: Online müssen die jungen Männer und Frauen dann einen Fragebogen ausfüllen. Die Antworten entscheiden, wer anschließend zur Musterung eingeladen wird.
Viktor Kulti aus Stockholm ist einer von ihnen. Sein bisheriges Fazit an Tag zwei seiner Musterung: "Ich bin total zufrieden. Gestern war ich beim psychologischen Test und dann heute früh ab 8 Uhr wieder hier."
Zwei Tage lang dauert die Musterung in dem skandinavischen Land, bestehend aus Untersuchungen, Tests und Interviews. Auch die körperliche Fitness spielt eine Rolle. Doch bis hierhin schaffen es nicht viele, erklärt Marinette Nyh Radebo von der schwedischen Musterungsbehörde: "Ungefähr 63 Prozent disqualifizieren sich bereits bei Beantwortung der Musterungsunterlagen aufgrund von physischen oder psychischen Vorerkrankungen oder anderen Ursachen. Insgesamt werden etwa 25.000 junge Menschen jährlich zur Musterung einberufen."
Knapp zehn Prozent eines Jahrgangs
Im Schnitt kommt am Ende ein Rekrut auf 3,5 gemusterte Personen. Im Anschluss an ihre Grundausbildung sind die Rekrutinnen und Rekruten verpflichtet, ihre Einheit zu unterstützen, wenn die Regierung eine erhöhte Bereitschaft oder Mobilmachung beschließt.
Erst 2010 hatte Schweden die Wehrpflicht ausgesetzt. Doch die Lust auf die Freiwilligenarmee war bei den jungen Schwedinnen und Schweden gering. Jahrelang klagte das Militär über Personalengpässe. Zudem änderte sich die Sicherheitslage in Europa - etwa mit der Annektierung der Krim durch Russland im Jahr 2014. Drei Jahre später beschloss die damals rot-grüne Minderheitsregierung, die Wehrpflicht zu reaktivieren.
Seither werden jedoch nur relativ wenig junge Menschen aus einem Jahrgang eingezogen: Anfänglich waren es nicht einmal 4.000. In diesem Jahr hat sich die Zahl etwa verdoppelt. Zukünftig sollen es etwa 10.000 junge Rekrutinnen und Rekruten sein - doch selbst das wären nicht einmal zehn Prozent eines Jahrgangs.
"Allgemeine Dienstpflicht" für Einwohner
Die Akzeptanz für die Wiedereinführung ist bei den Schwedinnen und Schweden hoch. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist sie sogar noch einmal deutlich gestiegen.
Dabei spielt sicherlich auch die allgemeine Dienstpflicht, die "Allmän tjänsteplikt", eine entscheidende Rolle. Sie ist neben der "Värnplikt", also der Wehrpflicht, eine von insgesamt drei Säulen, die die Gesamtverteidigung des skandinavischen Landes ausmachen.
Schwedische Soldaten bei einer Übung im Wald. Nicht alle müssen kämpfen - aber alle müssen Dienst leisten.
Ohne sie würde die Landesverteidigung bei militärischen Konflikten nicht funktionieren, davon ist Camilla Asp von der Behörde für Gesellschaftsschutz und Bereitschaft, MSB, überzeugt: "Alle, die in Schweden leben, sind verpflichtet, zur Verteidigung beizutragen. Entweder innerhalb der Streitkräfte, als Teil des Schutzes der Zivilbevölkerung oder zur Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen wie Gesundheitswesen, Transport, Stromversorgung oder Kinderbetreuung."
Verpflichtet werden alle Schwedinnen und Schweden zwischen 16 und 70 Jahren. Auch Ausländer, die in Schweden leben, sind von der allgemeinen Dienstpflicht nicht befreit.
Von der Stromversorgung bis zum Kämpfen
Erst kurz vor Weihnachten hat Schweden zudem beschlossen, auch die Zivildienstpflicht, die "Civilplikt", als dritte Säule der Gesamtverteidigung wieder einzuführen. Sie ist das zivile Äquivalent zur Wehrpflicht. Wer zum Beispiel bei der Feuerwehr oder in der Stromversorgung arbeitet oder in der Vergangenheit gearbeitet hat, wird im Krisenfall in eben diesen Bereichen eingesetzt.
Auch Auffrischungskurse und regelmäßige Übungen sind damit verpflichtend. Kämpfen zählt in der Regel nicht dazu, wohl aber Bewachungs- oder Ordnungsaufgaben. Der schwedische Gedanke, dass alle etwas für die Gemeinschaft leisten müssen, spiegelt sich auch im Verteidigungssystem wider.
Der junge Stockholmer Viktor Kulti hofft zukünftig seinem Land als Gebirgsjäger dienen zu dürfen, das wäre sein großer Traum. Eben auf diese Bereitschaft ist das dünn besiedelte Land angewiesen - vor allem im Kriegs- oder Katastrophenfall.