Deutsche Nachbarländer Österreich erwartet das Jahrhunderthochwasser
Schwerer Regen versetzt mehrere Regionen Österreichs in den Ausnahmezustand. Auch Polen und Tschechien kämpfen gegen Wassermassen - und evakuieren erste Dörfer. Vergleichsweise entspannt ist die Lage noch in Deutschland.
In Österreich sind wegen der schweren Regenfälle inzwischen mehr als 40 Gemeinden zum Katastrophengebiet erklärt worden. Am frühen Samstagabend waren es noch 24 Gemeinden. Prekär war die Lage vor allem an den Flüssen Kamp und Kremps, die in die Donau fließen. Im Waldviertel rund 120 Kilometer nordwestlich von Wien wird Hochwasser erwartet, wie es im langjährigen Durchschnitt nur alle 100 Jahre vorkommt.
"Die kommenden Stunden werden für den Hochwasserschutz die Stunden der Wahrheit und für unsere Einsatzkräfte und zahlreiche Landsleute zu einer massiven Belastungsprobe", warnte die Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner. Gerade im Waldviertel erwarte man "Herausforderungen in historischer Dimension".
Kritische Lage am Stausee Ottenstein
Bereits am Freitagabend gab es in einigen Gemeinden erste Evakuierungen. Allein im Bundesland Niederösterreich rückte die Feuerwehr über Nacht zu 160 Einsätzen aus, vor allem wegen Sturmschäden.
Befürchtet wird, dass der Stausee Ottenstein überlaufen könnte. Dort wird schon seit Montag Wasser abgelassen, um mehr Raum zu schaffen, sagte der Sprecher des Energieversorgers EVN. Ein Überlaufen würde an dem Donau-Zufluss Kamp Hochwasser auslösen. Im Unterlauf des Flusses könnten die Werte für ein 100-jährliches Hochwasser übertroffen werden.
Bahn und Autoklub raten von Reisen ab
Der stärkste Regen wurde im Gebiet von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland über Oberösterreich, den Großteil von Salzburg und der Obersteiermark bis zum Tiroler Unterland erwartet. Die Österreichische Bahn hatte am Donnerstag vor "Abweichungen und Verspätungen im Zugverkehr" gewarnt und Fahrgäste aufgerufen, bis einschließlich Sonntag "nicht dringende Reisen auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben".
Mehrere Straßen waren wegen umgestürzter Bäume oder liegengebliebener Fahrzeuge blockiert. Andere Routen, wie etwa die Großglockner Hochalpenstraße, wurden aus Sicherheitsgründen geschlossen. In manchen Gebieten galt Schneekettenpflicht.
Polen: Höchste Alarmstufe in mehreren Regionen
Im Südwesten Polens ging seit Freitagmorgen mehr Regen nieder als beim "Jahrtausendhochwasser" 1997. In Jarnoltowek in der Region Oppeln waren es innerhalb von 24 Stunden 161,5 Millimeter, wie das Meteorologische Institut (IMGW) mitteilte. Das waren 30 Millimeter mehr als der bisherige Rekordwert.
In Miedzygorze im Südwesten Polens ist ein Staudamm übergelaufen. "Der Damm in Miedzygorze läuft über. Obwohl Wasser abgelassen wurde, hat er seinen Höchststand erreicht! Der Wasserzulauf ist riesig", schrieb die niederschlesische Gemeinde Bystryca Klodzka auf der Plattform X. Die Situation sei kritisch, die Bewohner der tiefer gelegenen Dörfer würden evakuiert, teilte die Regionale Wasserwirtschaftsbehörde in Breslau (Wroclaw) mit.
Die schlesische Stadt Oppeln richtet sich auf eine Flutwelle in der Oder ein. Der Wasserstand werde am Sonntagmorgen etwa fünf Meter betragen, teilte die Stadtverwaltung mit. Bis Montag könne er auf maximal sechs Meter steigen. Eine Gefahr für die Bevölkerung durch das Hochwasser bestehe derzeit nicht.
Auch Polens zweitgrößte Stadt Krakau kämpft mit Überschwemmungen. Der öffentliche Nahverkehr in der Metropole mit rund 800.000 Einwohnern war vorübergehend gestört, nachdem mehrere Unterführungen im Zentrum mit Wasser vollgelaufen waren. Am Nachmittag meldete die Stadtverwaltung, dass die Probleme behoben worden seien.
Polens Regierungschef Donald Tusk nahm am Abend an einer Sitzung des Krisenstabs in Nysa teil. Er appellierte im Anschluss an betroffene Bürger, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Bei dem Treffen habe er gehört, dass es manchmal schwer sei, die Bürger zum Verlassen ihrer Häuser zu bringen, sagte er. "Aber eine Stunde später oder fünf Stunden später ist eine Evakuierung vielleicht nicht mehr möglich." Die Wettervorhersagen für die kommenden Stunden seien nicht optimistisch, so Tusk weiter. Die Nacht werde eine "dramatische Herausforderung".
Mehrere Tote in Rumänien
Auch im Osten Rumäniens ist es nach heftigen Regenfällen zu Überschwemmungen gekommen. In den Landkreisen Galati und Vaslui seien mindestens vier Menschen ums Leben gekommen, teilte die Katastrophenhilfe mit. In der am schlimmsten betroffenen Region des Landes seien zudem etwa 5.000 Häuser beschädigt worden.
Dutzende Menschen mussten in der Gegend mit Booten oder aus der Luft aus überschwemmten Häusern in Sicherheit gebracht werden. Ein Sturm hatte zuvor Bäume umgeknickt und Straßen unpassierbar gemacht.
Rumäniens Regierungschef Marcel Ciolacu sagte seine Pläne am Samstag ab, um sich in Galati ein Bild von der Lage zu machen. Umweltminister Mircea Fechet sagte der Nachrichtenagentur AP, dass in einigen Gegenden mehr als 160 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen seien. "Im Moment versuchen wir, so viele Leben wie möglich zu retten", sagte Fechet, bevor er ebenfalls nach Galati reiste.
Tschechien: Häuser und Straßen überflutet
Auch in Tschechien ist die Lage angespannt. In der östlichen Region Mährisch-Schlesien müssen nach Einschätzung der Behörden Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen aus ihren Häusern in Sicherheit gebracht werden. Dort und in der Region um Olomouc (Olmütz) wurde eine Gefahrenlage ausgerufen.
Selbst kleine Bäche verwandelten sich in reißende Ströme. Mancherorts mussten Menschen mit Booten in Sicherheit gebracht werden. Bilder zeigten überflutete Straßen mit schwimmenden Autos.
Zehntausende ohne Strom
Wegen der Hochwasserlage musste außerdem eine Klinik evakuiert werden. Mehr als 180 Patienten des Krankenhauses in Brünn (Brno) sollten nach und nach in andere Einrichtungen gebracht werden, wie die Leitung der Klinik mitteilte.
Zwischenzeitlich waren in Tschechien offenbar mehr als 60.000 Haushalte ohne Strom. Das berichtete die Agentur CTK unter Berufung auf die Energieversorger. Am stärksten betroffen sei der Nordwesten des Landes an der Grenze zu Sachsen. Allein dort waren demnach vorübergehend mehr als 20.000 Haushalte ohne Elektrizität. Als Grund wurde angegeben, dass wegen der durchnässten Böden und des starken Windes Bäume auf die Stromleitungen fielen.
Meteorologen zufolge werden die Pegelstände der Flüsse in Tschechien am Wochenende weiter ansteigen. Mancherorts hat es seit Freitag bereits 50 bis 110 Liter pro Quadratmeter geregnet.
Deutscher Alpenrand besonders betroffen
In Deutschland bereiten sich vor allem südliche und östliche Bundesländer auf Überschwemmungen vor. Im Südosten Bayerns gab es bereits kleinere Überschwemmungen. In Oberbayern traten einzelne Bäche über die Ufer, wie ein Sprecher der Polizei berichtete. Im Bayerischen Wald sind ebenfalls die Uferbereiche kleiner Bäche geflutet. Experten warnen allerdings, dass sich Niederschläge an den Flüssen mitunter erst Stunden oder Tage später bemerkbar machen können.
In Passau, wo sich die drei Flüsse Donau, Inn und Ilz treffen, sollte mit ersten Sperrungen in der Altstadt in den Abendstunden gerechnet werden, teilte die Stadt mit. Es werde "dringend davor gewarnt, überflutete Bereiche zu betreten".
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) sagte "eine bis Sonntagfrüh anhaltende Dauerregensituation am Alpenrand" - teils mit Unwettern - voraus. Verbreitet könnte dies demnach zu Mengen zwischen 40 bis 60 Litern pro Quadratmeter führen, ab dem Chiemgau ostwärts in Staulagen von rund 100 Litern pro Quadratmeter.
Warnung vor Überflutungen und möglichen Erdrutschen
Auch in Sachsen fielen seit Freitag mancherorts binnen 24 Stunden 30 bis 50 Liter Wasser pro Quadratmeter. Im Erzgebirge und in der Oberlausitz waren es zwischen 70 und knapp 100 Liter. Es besteht laut einer Warnung des DWD vom Donnerstag Gefahr durch Überflutungen von Straßen, Unterführungen und gewässernahen Gebäuden sowie durch mögliche Erdrutsche.
An der Elbe in Sachsen werden die höchsten Wasserstände derzeit ab Mittwoch und Donnerstag kommender Woche erwartet. Deswegen drängt die Zeit bei den Abrissarbeiten am eingestürzten Teil der Dresdner Carolabrücke.
Regenfälle durch Tief "Anett"
Ausgelöst werden die Regenfälle durch eine seltene Wetterlage, bei der ein Tief aus dem warmen Mittelmeerraum im Alpenraum auf polare Kaltluft trifft. Solche Entwicklungen führten häufig zu ergiebigen, manchmal auch zu extremen Niederschlägen und Unwettern, erklärt Rainer Behrendt vom ARD-Wetterkompetenzzentrum. Viel Feuchtigkeit vom zuletzt stark überwärmten Mittelmeer begünstigten dies im Fall des Tiefs "Anett" in außerordentlichem Maß.