Kritik von EU-Gewerkschaften Deutsche Fleischindustrie als Jobkiller
Als die Bundesregierung ankündigte, Werkverträge in Schlachtbetrieben abzuschaffen, drohten die Hersteller, ins EU-Ausland abzuwandern. Doch Deutschland hat mit seinen Billiglöhnen dort Jobs vernichtet, sagen Kritiker.
Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise, als in deutschen Schlachthöfen Hunderte Arbeiter infiziert wurden, wollte Kristjan Bragason wissen, ob die Arbeitsverhältnisse auch in anderen EU-Ländern so schlimm sind. Bragason ist Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsverbandes für den Bereich Ernährung und Landwirtschaft.
Fast überall gehe es besser zu als in deutschen Schlachthöfen, so lautete die Antwort aus den nationalen Verbänden. Aber es kam auch noch eine andere kritische Rückmeldung: "Viele unserer Mitglieder kritisieren heftig die Art, wie Deutschland gehandelt hat", sagt Bragason. Mit Dumpinglöhnen seien Jobs in vielen Nachbarländern zerstört und nach Deutschland geholt worden. Viele Jobs gingen in Ländern wie Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Dänemark verloren.
"Das System Billig perfektioniert"
Es gibt keine Chance, mit den Niedrigkosten zu konkurrieren, die die Fleischbetriebe in Deutschland geboten bekommen. Zahlen belegen das: In Belgien und Frankreich zum Beispiel sind die Mindestlöhne höher als in Deutschland, in Dänemark zahlt die Branche sogar nach Tariflohn.
Dass die reichste Volkswirtschaft Europas in der Fleischwirtschaft ein Billiglohnland ist, ärgert nicht nur den europäischen Gewerkschaftsverband. "Deutschland hat eine extreme Situation an den Schlachthöfen im europäischen Vergleich, das muss man wirklich sagen", sagt der Europaabgeordnete Martin Häusling.
Der Agrarexperte der Grünen-Fraktion kritisiert, Deutschland habe sich durch das System der Werkverträge Wettbewerbsvorteile gegenüber den Nachbarn verschafft. Aber auch durch Verzicht auf Kontrolle. "Deutschland hat das System des Billig, Billig, Billig auch auf die Schlachthöfe übertragen und es da auch perfektioniert", sagt er.
Konzentration auf wenige Firmen
Vor allem beim Schweinefleisch hat die deutsche Niedrigpreispolitik den Markt in Europa verändert. In den letzten 20 Jahren stieg die Zahl der Schlachtungen in Deutschland um fast die Hälfte. Gleichzeitig ging sie in anderen Ländern zurück. Das hat nicht nur eine Marktkonzentration auf wenige große Firmen zur Folge, mit dem Marktführer Tönnies an der Spitze.
Die andere Folge sind immer mehr Tiertransporte: "Es ist tatsächlich so, dass die deutschen Schlachthöfe in Europa fast mit am billigsten schlachten", sagt Häusling. Deshalb schließen Schlachthöfe in den Nachbarländern und die Tiere würden von Frankreich, aber auch von Belgien, Holland und vor allem auch von Dänemark nach Deutschland gefahren, um sie da schlachten zu lassen. "Und darüber regen sich natürlich unsere Nachbarländer zurecht auf.
Gegen den Run auf die billigsten Schlachthöfe helfen nach Einschätzung des Agrarexperten Häusling nur europaweite Normen. In allen Ländern der EU müssten Mindestauflagen beim Lohn und bei den Arbeitsbedingungen gelten.