EU-Sondertreffen zur Flüchtlingskrise Vier verstimmt
Auf dem heutigen EU-Sondergipfel geht es um die Verteilung von Flüchtlingen. Vier osteuropäische Länder sträuben sich, Schutzsuchende aufzunehmen. Die EU will sie dazu zwingen. Das geht der Slowakei zu weit - und will klagen.
Die Stimmungslage beim Krisengipfel der 28 Staats- und Regierungschefs dürfte gemischt sein: Ein wenig Erleichterung bei den Regierungen, die sich in Sachen gerechtere Verteilung von Flüchtlingen durchgesetzt haben. Jede Menge Frust, wenn nicht Zorn bei den Unterlegenen, vor allem den vier osteuropäischen Ländern, die überstimmt wurden.
Tschechien, Slowakei, Ungarn und Rumänien müssen nun wohl oder übel mitmachen. Und in beiden Lagern herrscht Erschöpfung nach einem langen und zähen Ringen um eine gemeinsame europäische Migrationspolitik, das noch lange nicht zu Ende ist.
Dass die EU nun gespaltener denn je sei und der gefundene Kompromiss angesichts der Dimension des Problems doch recht dürftig, glaubt Jean Asselborn, der Vertreter der luxemburgischen Ratspräsidentschaft, nicht. "Wir wollten diese Lösung und wir haben sie fertiggebracht", sagte er. "Und wir haben es glücklicherweise fertiggebracht, so ein großes Land wie Polen auf unsere Seite zu bekommen."
Mit "unserer Seite" meint der Luxemburger vor allem die Mitgliedsstaaten im Westen, an der Spitze das Tandem Deutschland-Frankreich, daneben Österreich und Schweden. Jene Länder, die sich seit Wochen für eine verbindliche und möglichst dauerhafte Flüchtlingsquote in der EU eingesetzt haben, um die sogenannten "Frontländer" Italien und Griechenland zu entlasten.
"EU ist einen gewaltigen Schritt vorangekommen"
Um den sogenannten Blockierern, also Osteuropäern und Balten, ein Ja zu erleichtern, hatte man den Plan von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuletzt deutlich verwässert und in einen freiwilligen, einmaligen Mechanismus für weitere 120.000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak umgewandelt. Strafzahlungen und verpflichtende Quoten wurden aus dem Beschlusstext gestrichen.
Weil sich im Rat trotzdem kein Konsens herstellen ließ, griff man in der Not zum letzten Mittel und ließ abstimmen: "Die Europäische Union ist einen gewaltigen Schritt vorangekommen", resümiert Asselborn. "Stellen Sie sich vor, wir hätten keine Entscheidung heute Abend. Was würden Sie sagen? Wir haben eine Entscheidung und jedes Land hat sich jetzt daran zu halten, sogar Ungarn."
Tschechien hofft, der Mehrheitbeschluss würde annulliert
Ob das Beispiel Schule macht, wie sich Asselborn und einige andere wünschen, und die zerstrittene Union dadurch politisch handlungsfähiger wird, bleibt abzuwarten. Ebenso, ob sich tatsächlich alle Quotengegner an das Ergebnis halten werden.
Der slowakische Regierungschef Robert Fico jedenfalls spricht von einem "Diktat" und verkündete, sein Land werde sich mit einer Klage gegen den EU-Beschluss wehren. "Die slowakische Regierung wird den rechtlich bindenden Akt nicht umsetzen, den die Innenminister per Abstimmung beschlossen haben", sagte Fico.
Tschechiens Präsident Milos Zeman hofft gar, der Mehrheitsbeschluss werde vom heutigen Sondergipfel annulliert, was rechtlich gar nicht möglich ist. Die EU-Kommission machte deutlich, dass der Beschluss bindend sei und sie keine Zweifel habe, dass er umgesetzt werde.
Zeitgleich wurde bekannt, dass die Behörde gegen 19 Länder Vertragsverletzungsverfahren einleitet, weil diese gegen bereits geltendes EU-Asylrecht verstoßen haben sollen. Auch die Bundesrepublik, die laut Innenminister Thomas de Maizière zu ihren Pflichten steht, ist im Visier: "Deutschland wird sich in einer Größenordnung von etwas über 30.000 Personen beteiligen", sagte er. "Das tun wir aus Solidarität und Verantwortung aber auch aus eigenem Interesse."
Verteilung nur ein Baustein von vielen
Trotz aller Kontroversen: Beim abendlichen Arbeitsdinner der Staats- und Regierungschefs wird die Brechstange wohl nicht nötig sein. Brüsseler Diplomaten sagen, es soll ums große Ganze gehen. Da sei die Verteilung von Flüchtlingen nur ein Baustein von vielen. Nach dem Willen von Gipfelchef Donald Tusk soll über einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen gesprochen werden. Dazu will man die Grenzagentur Frontex stärken.
Ein weiterer wichtiger Punkt: die Bekämpfung der Fluchtursachen. Hier will man versuchen, die Lage in den Kriegs- und Krisengebieten außerhalb der Union zu stabilisieren. So soll die Türkei mit bis zu einer Milliarde Euro unterstützt werden. Auch Jordanien und dem Libanon, die prozentual viel mehr Schutzsuchende aufnehmen als Europa, will man mit Geld und Logistik zur Seite stehen. Alles in der Hoffnung, dass sich weniger Menschen nach Europa auf den Weg machen und sich der Flüchtlingsstrom besser kontrollieren lässt.
Ein langfristiges Ziel, das der EU noch viele Anstrengungen abverlangen dürfte. Bei dem Konsens aber sicher leichter zu finden ist.