EU-Flüchtlingsstreit Dichte Grenzen, verhärtete Fronten

Stand: 09.10.2013 18:00 Uhr

Mit der EU-Flüchtlingspolitik stimmt etwas nicht: Vor der italienischen Insel Lampedusa starben Hunderte Menschen. Trotzdem sieht es eine Woche später so aus, als würden die Europäer weitermachen wie bisher. Warum?

Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Wer in Europa will was?

Europas Staaten wollen vor allem eins: Nicht zu viele Flüchtlinge - denn die bedeuten aus ihrer Sicht eine Belastung für Europa. Das ist allerdings auch schon der einzige Nenner, auf den sich Nord- und Südeuropäer verständigen können. Der Süden, wirtschaftlich geschwächt durch die Schuldenkrise, fühlt sich vom Norden allein gelassen mit dem Flüchtlingsproblem. Der Norden hingegen verweist auf die Statistiken. So sagt der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich, dass Deutschland schon jetzt "die meisten Flüchtlinge in Europa" aufnehme. Auf der andere Seite der Debatte stehen Flüchtlingsorganisationen wie "Pro Asyl". Sie sehen vor allem das Schicksal der Menschen, die in Europa Zuflucht suchen vor Krieg oder Verfolgung.

Tut Deutschland genug für die Flüchtlinge?

Absolut nimmt Deutschland die meisten Flüchtlinge auf - gemessen an den Einwohnern liegt die Bundesrepublik jedoch eher im Mittelfeld der Statistiken. Laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR wurden 2012 in Deutschland 64.500 Asylanträge gestellt. Auf eine Million Einwohner kamen damit rund 800 Asylbewerber, in Schweden dagegen waren es rund 4600. Erhellend ist auch der Vergleich mit früheren Jahren. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zufolge suchten 1992 - als während des Jugoslawien-Kriegs - 438.000 Menschen hierzulande Asyl. Unter anderem wegen der zunehmend restriktiven Asylpolitik sank diese Zahl auf unter 20.000 im Jahr 2007. Seitdem kommen allerdings wieder deutlich mehr Asylbewerber nach Deutschland.

Bleibt das Problem an den Südländern hängen?

Ja und Nein. Naturgemäß trifft die Flüchtlingsproblematik den Süden unmittelbarer als den Norden. Denn wer in Libyen einen Flüchtlingskahn besteigt, der landet nicht in Finnland. Die Zahlen des UNHCR allerdings zeigen eindeutig, dass Italiener, Griechen oder Spanier letztlich viel weniger Menschen aufnehmen als Deutschland, Österreich oder Schweden. Die Gründe dafür sind vielfältig, der wichtigste aber dürfte die "massive Abschottungspolitik" dieser Länder sein, wie Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt meint. "Griechenland verhaftet die Flüchtlinge, Malta schaut weg - und Italien illegalisiert den Fischer, der einen Flüchtling aus dem Wasser zieht."

Sind die Südeuropäer die Bösen - oder die Dummen?

"Länder wie Griechenland oder Italien begehen Menschenrechtsverletzungen", sagt Burkhardt. "Aber es sind Länder wie Deutschland oder Österreich, die das Flüchtlingsproblem auf die Südeuropäer abwälzen." Europas gemeinsame Flüchtlingspolitik beruht auf dem sogenannten Dublin-II-Abkommen. Es besagt, dass das Land, in dem ein Flüchtling die EU erreicht, für das Asylverfahren und die Unterbringung verantwortlich ist. Bei diesem Land aber handelt es sich, siehe oben, tendenziell eher um Italien als Finnland. Die Dublin-II-Regeln zu reformieren, lehnt Deutschland kategorisch ab.

Gibt es eine Kompromisslinie?

Offenbar nicht. Darum machen Nord- und Südländer erst mal weiter wie bislang. Die EU-Kommission in Brüssel ist derweil gefangen zwischen den unterschiedlichen Interessen ihrer Mitgliedstaaten. Zuletzt bemühte sie sich um eine Stärkung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, die die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenze koordiniert. Die Folge? Wenn künftig noch mehr Frontex-Hubschrauber mit Wärmebildkameras das Mittelmeer absuchen, dann wird das dem ein oder anderen Schiffbrüchigen helfen - aber es trägt auch dazu bei, dass die Grenzen noch dichter werden.

Ist das Flüchtlingsproblem überhaupt zu lösen?

Friedrich meint, man müsse die "Entwicklung in den Herkunftsländern so verbessern", dass "die Menschen schon keinen Grund haben, ihre Heimat zu verlassen." Dagegen ist einerseits nichts zu sagen. Andererseits, bis aus Syrien oder Somalia prosperierende Demokratien werden, dürften noch viele Syrer und Somalier versuchen, irgendwie nach Europa zu kommen. Europas Politik ist sich immerhin in einem Punkt einig: Sie will härter gegen Schlepperbanden vorgehen, die aus der Fluchthilfe ein kriminelles Geschäft gemacht haben. Menschenrechtler dagegen sagen, dass es gerade die Abschottungspolitik sei, die das Schleppergeschäft begünstige. Sie fordern daher, mehr legale Wege nach Europa zu schaffen..

Sind die Flüchtlinge wirklich ein so großes Problem für die EU?

Aus europäischer Perspektive: Ja. Aus globaler Sicht: Nein. Als einziges EU-Land taucht Deutschland in den "Top-Ten" jener Länder auf, die die meisten Flüchtlinge beherbergen. Die anderen Namen in der UNHCR-Liste: Pakistan, Iran, Kenia, Saudi-Arabien, Äthiopien, Tschad, Jordanien, China und die Türkei.