Proteste in Frankreich "Es geht um etwas viel Größeres"
In ganz Frankreich demonstrieren Menschen gegen die Regierung, blockieren Straßen und die Zugänge zu Universitäten und Schulen. Vielen geht es um mehr als um die Rentenreform. Nach Macrons jüngstem Auftritt ist die Wut teils noch gewachsen.
Chaos am Flughafen Charles de Gaulle bei Paris: Demonstrierende haben die Zufahrten von Terminal 1 blockiert. Reisende versuchen, zu Fuß das Gelände zu verlassen und ziehen ihre Koffer entlang der Ausfallstraßen, weil kaum S-Bahnen oder Busse fahren. Rund um den Flughafen bilden sich lange Staus, die Nerven liegen bei einigen Autofahrern schon am Morgen blank.
Rund die Hälfte der TGV-Verbindungen fällt heute aus. Auch im Nahverkehr fahren deutlich weniger Züge als sonst. Seit sich Präsident Emmanuel Macron in seinem gestrigen Fernsehinterview unnachgiebig gezeigt hat, ist die Wut noch einmal gewachsen, sagt Mustapha Zoufir von der Gewerkschaft CFDT im Süden Frankreichs einem Lokalreporter von BFMTV.
Wir sind wütend. Mit dem Artikel 49.3 hat er die Demokratie verleugnet. Dann stellt er sich da ins Fernsehen und gießt auch noch Öl ins Feuer. Wir machen weiter und zeigen dem Präsidenten unseren Unmut, damit er die Reform zurückzieht. Wir geben nicht auf.
Streiks auch bei Müllabfuhr und in Grundschulen
Auch bei der Müllabfuhr wird weiter gestreikt. Nur eine von vier Total-Raffinerien ist noch in Betrieb, andere haben die Produktion drosseln müssen. Rund 15 Prozent der Tankstellen im Land fehlt bereits mindestens ein Treibstoff. Auch das Kerosin wird knapp. Und in den Grundschulen streiken nach Angaben der Gewerkschaft Snuipp-FSU 40 bis 50 Prozent der Lehrkräfte.
Die Regierung hofft, dass dies das letzte große Aufbäumen der Anti-Reform-Bewegung sein wird, doch das ist längst nicht ausgemacht. Norbert Meler, Bürgermeister der kleinen Stadt Foix südlich von Toulouse, erklärt: "Die Aussagen des Präsidenten gestern haben nicht gerade Enthusiasmus ausgelöst. Unsere Mitbürger demonstrieren gerade gegen die Rentenreform, aber ihre Wut sitzt viel tiefer."
Es gehe um die Frage, wie sie am Ende des Monats über die Runden kommen sollen, so Meler. Es gehe auch um den öffentlichen Dienst, um die Gesundheitsversorgung. Das sei auf dem Land alles schwierig geworden. "Es geht also um etwas viel Größeres."
Bis zu 800.000 Demonstrierende erwartet
Die Polizei rechnet heute mit 600.000 bis 800.000 Demonstrierenden landesweit. In vielen Orten kommt es zu spontanen Blockaden von Straßen, Schienen oder Eingängen. Am Nachmittag soll sich der Protestzug in Paris in Bewegung setzen. Er verläuft zwischen Bastille und der Place Opera, im Herzen eines der touristischsten Viertel der Hauptstadt. Dieser Platz ist klein und die Sorge groß, dass es dort am Abend zu Zusammenstößen mit der Polizei kommen könnte.
Der Chef der gemäßigten Gewerkschaften CFDT, Laurent Berger, verurteilte mögliche Ausschreitung aufs Neue, sieht aber die Verantwortung dafür bei der Regierung. "Wir werden alles dafür tun, dass es gut verläuft", sagt er. "Aber wir haben auch nicht alles im Griff. Wir haben gewarnt, dass die Stimmung explosiv werden könnte, wenn man den Menschen nicht zuhört. Man muss die Verbitterung der Menschen doch mal hören. Im Moment, wo sich die Wut Bahn bricht, wird es schwierig."
Alleine 5000 Polizistinnen und Polizisten werden in Paris im Einsatz sein. Arbeitsminister Olivier Dussopt hat am Morgen im Interview mit RTL beteuert, den sozialen Dialog wieder in Gang bringen zu wollen. Es warteten andere wichtige Gesetze rund um das Thema Arbeit darauf, gemeinsam debattiert zu werden. Da gehe es um die Arbeitsbedingungen der Menschen und um Ausbildung. Dass er mit dieser Botschaft heute durchdringt, ist unwahrscheinlich.