Papst Franziskus Die Sehnsucht nach dem Umbruch
Die katholische Kirche hat einen neuen Papst: Der 76 Jahre alte Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, wird als Franziskus Oberhaupt von 1,2 Milliarden Gläubigen. Die Wahl Bergoglios ist eine faustdicke Überraschung. Und sie zeigt die Sehnsucht nach einem Umbruch.
Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom
Die Verbeugung des neuen Papstes ist mehr als eine Geste, sie ist ein Versprechen: Franziskus will ein Papst sein, der in Demut vor Gott und seinen Mitmenschen dieses Amt ausübt. Er will mit dem Kirchenvolk "einen Weg der Brüderlichkeit, der Liebe, des Vertrauens" gehen.
Wenn er das wahr macht, dann steht der katholischen Kirche nach dem revolutionären Rücktritt Benedikts XVI. ein weiterer großer Umbruch bevor. Die Sehnsucht nach einem solchen Umbruch ist gewaltig. Viele Menschen können mit einer auf Hierarchien fixierten Kirche nichts mehr anfangen. All der Prunk und all die Pracht sind für sie nicht Abglanz göttlicher Herrlichkeit, sondern Ausdruck menschlicher Selbstüberschätzung. Rom ist zum Inbegriff all dessen geworden, was viele Katholiken an ihrer Kirche zweifeln und verzweifeln lässt: Eine Zentrale, in der fern jeder Realität von oben herab Entscheidungen getroffen werden und in der Zustände herrschen, die offenbar jeder Beschreibung spotten.
Der Jesuitenorden ist als Reaktion der katholischen Kirche auf die Reformation gegründet worden, er hat die Reform in die Kirche gebracht. Dass nun zum ersten Mal ein Vertreter dieses großen Ordens Papst wird, darf man als Indiz auf die erhoffte Zeitenwende werten.
Dazu dieser Name: Franziskus. Seit Tagen steht auf dem Petersplatz ein Mann, der ein Plakat in die Luft hält mit der prophetischen Aufschrift "Franziskus". Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Wir haben einen Papst, der sich als Namenspatronen den Heiligen Franz von Assisi ausgesucht hat, also den Mann, der im 12. Jahrhundert ein Leben in radikaler Armut führte und der einen Orden gründete, der bis heute nach diesem Ideal lebt.
Franziskus muss Härte zeigen
Dem ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires eilt der Ruf voraus, ein extrem bescheidener Mann zu sein, der lieber in einer einfachen Wohnung lebt statt im Bischofspalais, der lieber den Bus nimmt statt die Bischofslimousine. Da gibt es eine innere Verwandtschaft zwischen Joseph Ratzinger und seinem Nachfolger Franziskus. Viel wird nun davon abhängen, ob der Argentinier etwas von dieser Bescheidenheit in das neue Amt retten kann.
Bei Benedikt XVI. hatte man bisweilen das Gefühl, dass er Opfer eines Systems geworden ist, einer Rolle, die eigentlich nicht die seine ist. Das war auch die Schuld seiner Mitarbeiter. Hier muss Franziskus nun Härte zeigen, er muss sich in der Kurie unbeliebt machen, dieses Mandat haben ihm die Kardinäle gegeben. Denn eine Reform der Kirchenleitung wird es nicht geben ohne einen klaren Schnitt - und nicht ohne Personalwechsel.
Wieder kein junger Papst
Mit dem Pontifikat Bergoglios erleben wir viele Premieren: der erste Papst aus Lateinamerika, der erste Jesuitenpapst und der erste Papst mit einer naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung. All das überrascht; die Wahl Bergoglios ist auch eine faustdicke Überraschung für all die Auguren, Vatikanexperten und Insider: Den Mann aus Buenos Aires hatte kaum jemand auf seiner Liste.
Eine andere Überraschung blieb aus: Es gibt wieder keinen jungen Papst. Als Benedikt XVI. vor einem Monat zurück trat, tat er das mit Rücksicht auf seine schwindenden Kräfte. Franziskus ist 76 Jahre alt. Ein alter Mann, der hoffentlich noch genug Kraft hat, um die Versprechen, die er heute gegeben hat, einzulösen.