Frauenmangel an der EU-Spitze "Verhältnisse wie in Saudi-Arabien"
In ganz Europa soll das Gleichgewicht der Geschlechter im Beruf gewahrt sein. Doch an der Spitze herrschen weiter Männer. In der neuen EU-Kommission sollen gerade einmal elf Prozent der Plätze mit Frauen besetzt werden. Das erregt den Widerstand führender Politikerinnen.
Von Katrin Brand, WDR-Hörfunkstudio Brüssel
Der Parlamentspräsident, der Kommissionspräsident, die Fraktionsvorsitzenden - alle behaupten, dass die EU an ihrer Spitze Frauen braucht. "In der Theorie sind alle Männer in Brüssel Feministen!", sagt Rebecca Harms, die Fraktionschefin der Grünen. Aber wenn es konkret darum geht, die Jobs an der Spitze der EU mit Frauen zu besetzen, hätten die Herren alles vergessen. Dann würden in Hinterzimmern die Posten untereinander verteilt, sagt Diana Wallis von den britischen Liberalen. Und das sei ganz altes Europa, denn "überall in der EU muss bei Stellenausschreibungen die Balance zwischen den Geschlechtern gewahrt sein. Nur offensichtlich nicht an der Spitze Europas."
Nur drei von 27 Ländern wollen eine Frau schicken
Am Donnerstag wollen die Regierungschef den neuen Präsidenten und den Außenminister bestimmen. Ein bis zwei Frauen werden immer mal genannt, keine hat ernsthaft Chancen.
Ähnlich die Lage in der Kommission: Gerade ist der Präsident der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, dabei, sein neues Team zusammenzustellen. 27 Mitglieder wird die neue Regierung der EU haben. Bisher waren acht davon Frauen; starke Frauen wie zum Beispiel die Luxemburgerin Viviane Reding, zuständig für Telekommunikation, oder die Zypriotin Androula Vassiliou, die Gesundheitskommissarin. Beide sollen auch bleiben; ihre Heimatländer haben sie erneut nominiert. Auch Bulgarien will wieder eine Frau schicken. Aber mehr hat Barroso bisher nicht zusammenbekommen. Rebecca Harms ist entsetzt: "Drei von 27, das geht gar nicht", sagt die Abgeordnete und zitiert eine belgische Zeitung: "Das sind Verhältnisse wie in Saudi-Arabien".
Frauen im Parlament wollen Kommission prüfen
Und so haben sich nun Frauen aller fünf großen Fraktionen des Europaparlaments zusammengetan. Konservative, Sozialdemokratinnen, Linke, Grüne und Liberale drohen gemeinsam: Wenn die nächste Kommission nicht wenigstens so viele Frauen aufbringt wie die alte, wollen sie die gesamte Mannschaft im Parlament durchrasseln lassen. Das ist keine leere Drohung. Das Parlament prüft in Anhörungen, ob die Kandidaten seiner Meinung nach fähig sind und kann die Kommission ablehnen. Vor fünf Jahren machten die Abgeordneten davon Gebrauch, weil Präsident Barroso an einem italienischen Bewerber festhielt, der den Abgeordneten durch diskriminierende Sprüche aufgefallen war.
Die Konservativen werden mauern
Warum sollte das diesmal nicht wieder gehen, fragt Diana Wallis und stellt klar, sie persönlich werde mit Nein stimmen, wenn es weniger Frauen werden würden als aktuell. Rebecca Harms ist zuversichtlich, dass auch die männlichen Kollegen mitziehen werden. Grüne, Liberale und Sozialdemokraten hätten sich in diese Richtung geäußert. Doch die Konservativen dürften mauern. Ihr Fraktionschef Joseph Daul sieht den Kommissionspräsidenten in einer misslichen Lage: "Wie soll er denn Frau Merkel oder Nikolas Sarkozy sagen: Schick mir mal eine Frau, ich akzeptiere den Mann, den du mir geschickt hast, nicht!?" Außerdem gebe es nun mal nicht genug qualifizierte Kandidatinnen. Das allerdings halten die Frauen für Unsinn.