Fünf Jahre nach Grenfell-Tower-Brand "Das könnte wieder passieren"
Wie eine Fackel ragte der Grenfell Tower in der Nacht zum 14. Juni 2017 in Londons Nachthimmel. Ausgelöst durch einen Kühlschrankbrand starben 72 Menschen. Für sie gibt es heute Gedenkveranstaltungen.
Fehler der Feuerwehr, der Verbau leicht brennbarer Dämmstoffe - die Liste der Verfehlungen ist lang, eine Untersuchung noch immer nicht abgeschlossen. Am Fuße der Ruine, aber auch in Westminster Abbey sind fünf Jahre nach der Katastrophe Gedenkfeiern angekündigt. Während der Jubiläumsfeiern für die Queen, als im ganzen Land Straßenpartys stattfanden, hatte man auch am Fuß des Grenfell Tower eine lange Tafel gedeckt. Doch die Tafel blieb leer, 72 unbesetzte Plätze für die Opfer, deren Angehörige noch immer Gerechtigkeit fordern.
Fünf Jahre nach der Brandkatastrophe
Die Juni-Sonne taucht den weiß verhängten abgebrannten Wohnblock in gleißendes Licht. Die Vögel zwitschern - es wäre idyllisch, würde man nicht auf Schritt und Tritt an die Tragödie von vor fünf Jahren erinnert. An einem Zaun flattert ein rußverschmiertes T-Shirt mit dem Aufdruck "London Fire Brigade", an einem anderen sind Namensplaketten für die 72 Opfer angebracht worden.
Husna Begum, Rania Ibrahim, Hashim Kedir: Die meisten der Menschen, die beim Brand des Sozialbaublocks Grenfell Tower starben, hatten einen Migrationshintergrund. Von Balkonen hängen Banner, die "Justice" - also Gerechtigkeit - fordern. Und am Bauzaun, der das Gelände rund um die Ruine abschirmt, ist eine Gedenkstätte entstanden.
Es ist herzzerreißend, wirklich. Jedes Mal, wenn ich hier vorbeigehe, kommen die Gefühle aus jener Nacht wieder hoch.
Ally hat das Desaster vor fünf Jahren als Nachbar miterlebt. Jetzt wartet er vor der Gedenkwand mit Briefen, Blumen und Fotos auf seinen kleinen Sohn, den er vom Schwimmen abholt. Er tut sich schwer, dem Fünfjährigen zu erklären, was hier passierte, als er gerade geboren war. Ally erzählt:
Er fragt mich immer, wer sind diese Kinder auf den Fotos? Das ist so traurig, ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll. Ich möchte ihn beschützen. Er ist zu jung, um das zu verstehen.
Kühlschrankbrand im vierten Stock
Es war ein Kühlschrankbrand im vierten Stock, der in der Nacht zum 14. Juni 2017 eine Katastrophe auslöste. Leicht entflammbare Dämmplatten an der Fassade verwandelten ein kleines Haushaltsfeuer in ein Inferno. Für Menschen, die in den oberen der 24. Stockwerke gefangen waren, gab es kein Entkommen. Im Flammenmeer spielten sich damals dramatische Szenen ab. Vom Feuer eingeschlossene Bewohner versuchten in der Nacht, mit Taschenlampen an Fenstern auf sich aufmerksam zu machen. Andere verabschiedeten sich per Handy von ihren Angehörigen.
Die Hilfsbereitschaft rund um das Inferno war dabei enorm: Londoner eilten herbei, verteilten Wasser und Essen und boten ihre Hilfe an. Über Stunden wirbelten Aschefetzen rund um die Umgebung des tiefschwarzen Wohnblocks.
Feuerwehr hatte Gefahr nicht richtig eingeschätzt
Die Feuerwehr hatte die Gefahr unterschätzt, die von der leicht brennbaren Fassade ausging und forderte die Bewohner zu lange auf, in ihren Wohnungen zu bleiben. Dass die Bezirksregierung mit günstigeren Dämmplatten sparen wollte, Bedenken der Bewohner ignorierte und die Feuerwehr zu lange auf die falsche Rettungsstrategie setzte, steht inzwischen fest.
Doch die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Niemand ist wegen des Brandes bisher zur Verantwortung gezogen worden und Empfehlungen, die bereits 2019 abgeleitet wurden, sind noch nicht umgesetzt.
Infrastrukturminister Michael Gove bat vor Kurzem im Parlament Angehörige von Opfern und Überlebende der Katastrophe um Verzeihung, dass die Regierung in den vergangenen fünf Jahren manchmal etwas langsam gewesen sei und auch nicht immer den richtigen Ton getroffen habe. Es sei schlimm, dass es ein Unglück wie Grenfell gebraucht habe, um deutlich zu machen, dass es Mängel bei den Vorschriften gebe. Erst kürzlich wurden etwa die gefährlichen Dämmstoffe auch für niedrigere Häuser verboten.
Neue Katastrophe verhindern
Es geht nicht nur darum, eine Katastrophe aufzuarbeiten, sondern auch darum, eine neue zu verhindern. Zahlen der Regierung zeigen, dass es im ganzen Land derzeit noch rund 10.000 andere Gebäude gibt, die mit ähnlich leicht entflammbaren Dämmplatten verkleidet sind. Die müssen nun landesweit entfernt werden. Viele Pächter oder Wohnungsbesitzer sehen sich finanziell aber nicht imstande, für die Kosten aufzukommen. Verkaufen können sie ihre Wohnungen jedoch auch nicht, solange die leicht brennbare Fassade nicht erneuert ist. Immer wieder berichten britische Medien von Menschen, die sich in den Ruin getrieben sehen.
Nick Wrack, Chef der Feuerwehrgewerkschaft, warnt, eine neue Grenfell-Katastrophe sei denkbar, wenn nicht endlich gehandelt würde.
Das könnte wieder passieren. Wir hatten seitdem schon ein paar Brände, die sich ähnlich dramatisch entwickelten und es war pures Glück, dass sich Grenfell nicht wiederholt hat.
Frustriert von den schleppenden Ermittlungen und unzureichenden Verbesserungen sind auch Angehörige von Opfern wie Feruza Afewerki, die vier Verwandte im Grenfell Feuer verlor. Sie erzählt:
Neben der Trauer und dem Verlust müssen wir auch noch mit der Ungerechtigkeit leben, dass immer noch viele Menschen in leicht brennbaren Häusern jeden Abend ins Bett gehen. 72 Menschen verloren ihr Leben, Monate später hätten Dinge verändert werden müssen. Aber fünf Jahre später leben Menschen noch immer mit dieser Gefahr.
Gedenkfeiern für die Opfer von Grenfell
Feruza gehört zu den Organisatorinnen des jährlichen Schweigemarschs am Fuße der Ruine, der auch am Abend wieder stattfindet. In der Kathedrale Westminster Abbey wurde bereits ein Gedenkgottesdienst veranstaltet. Anwohner Ally würde sich derweil wünschen, dass das verkohlte Gebäude abgerissen und ein Gedenkgarten eingerichtet wird. Damit die Gemeinde einen Ort habe, an dem sie ihren Frieden mit der Katastrophe machen könne.