Konflikt im Nahen Osten "Iran will Verhandlungsmasse schaffen"
Der Iran ist laut Nahost-Experte im Konflikt mit den USA bereit, weit zu gehen. Die Regierung in Teheran hoffe darauf, aus der jetzigen Situation Kapital für mögliche Verhandlungen zu schlagen.
tagesschau24: Herr Gerlach, die Eskalation geht also weiter. Welche Wirkung wird der Angriff auf die US-Soldaten im Irak jetzt haben?
Daniel Gerlach: Ganz sicher werden die Amerikaner darauf antworten. Ihnen bleibt - wenn man sich die Logik und die bisherige Entwicklung anschaut - auch gar nichts anderes übrig. Sie werden wahrscheinlich die Eskalationsspirale noch ein bisschen weiter drehen und dabei genauso darauf achten, dass sie keine Iraner töten. Aber sie werden sich wahrscheinlich irgendein militärisches Ziel anschauen, vielleicht die Rollbahn eines militärischen Flughafens oder irgendeine andere militärische Installation. Möglicherweise sogar eine Raketenabschussrampe. Dann könnten sie behaupten: Daher ist die Aggression gekommen, und wir richten uns mit den gleichen Mitteln dagegen.
Sie möchten in irgendeiner Form Maß halten - aber auch nicht zurückstecken. Das ist ein Spiel. Es ist militärisch nachvollziehbar. Hier geht es darum, Politik mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Aber es ist ein gefährliches Spiel. Dabei können sehr, sehr schnell Opfer entstehen, die man eigentlich nicht wollte - aber dann doch in Kauf genommen hat.
"Iraner sind bereit, Verluste einzustecken"
tagesschau24: Sie sprechen selbst vom Spiel. Die Aktion könnte man als relativ begrenzt bezeichnen. Welche Taktik steckt dahinter?
Gerlach: Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif sagte, sein Land habe maßvoll in Selbstverteidigung und in Übereinstimmung mit internationalem Recht zugeschlagen. Aber wir müssen überlegen, was das eigentlich heißt: Es gibt nicht viele Staaten auf der Welt, die es fertig bringen, von ihrem eigenen Territorium Raketen auf eine US-Basis zu schießen - unabhängig davon, ob das maßvoll ist oder nicht. Allein, dass wir darüber sprechen, dass das maßvoll ist, zeigt schon, wohin sich die Situation entwickelt hat.
Es zeigt aber auch, dass die Iraner erfolgreich sind. Und sie sind bereit, weit zu gehen. Sie fühlen sich den Amerikanern dabei etwas überlegen, weil sie in den vergangenen 40 Jahren gezeigt haben, dass sie bereit sind, Verluste einzustecken, um strategische Ziele zu erreichen. Während die Amerikaner dazu weniger bereit sind.
"Da ist noch sehr viel Spielraum"
tagesschau24: Irans Außenminister Zarif schrieb auf Twitter, sein Land sei gar nicht an einer Eskalation interessiert. Heißt das, Sie glauben ihm das nicht?
Gerlach: Ich glaube ihm das schon. Aber wir reden ja seit Tagen über Eskalation. Was bedeutet Eskalation? Eine Eskalation ist im Grunde eine Steigerung. Das Ganze dreht sich immer weiter nach oben. Die Wahl der Mittel wird immer härter, wir kommen immer näher an den Abgrund. Aber da ist letztendlich noch sehr, sehr viel Spielraum. Der iranische Außenminister versucht - in Übereinstimmung mit seiner Regierung - immer sehr formalistisch zu argumentieren, weil er gegenüber der internationalen Gemeinschaft auch Sympathiepunkte einstreichen möchte.
Die Iraner sind in der kuriosen Situation, dass sie über Jahre hinweg in der westlichen Öffentlichkeit sehr schlecht dastanden. Jetzt haben sie es aber mit einem Gegner zu tun, der auch in Europa und in vielen Staaten der Region dermaßen unbeliebt ist und für irrational gehalten wird, dass sie so eine Symmetrie der Sympathien herstellen können. Sie hoffen selbstverständlich, dass sie daraus politisches Kapital schlagen können. Weil sie davon ausgehen: Die USA werden es nicht wagen, amerikanische Menschen in großem Umfang zu gefährden. Die Iraner wollen jetzt Verhandlungsmasse kreieren. Und sie sind - ich möchte nicht sagen, dass das zu befürworten ist, was sie tun - aber sie sind damit ziemlich geschickt. Aber nur deswegen, weil sie es sich im Zweifelsfall auch leisten können, zu ihrem Wort zu stehen und einzustecken.
"Iran will eine bessere Verhandlungsposition"
tagesschau24: Der Iran hatte angekündigt, sein Atomprogramm jetzt komplett wieder hochzufahren und sich sozusagen aus dem Deal zurückzuziehen. Wie gefährlich kann der Iran dann werden?
Gerlach: Die Risiken einer nuklearen Bewaffnung Irans wurden über Jahre diskutiert. Das ist ein Schreckensszenario für viele, weil es auch dazu führt, dass sich nicht nur der Iran nuklear bewaffnet, sondern auch andere Staaten in der Region und dass diese möglicherweise auch die Hand am Abzug etwas flexibler haben. Was bedeuten könnte, dass sie möglicherweise auch dazu bereit wären, solche Waffen einzusetzen. Aber die Iraner wollen jetzt nicht unmittelbar Nuklearwaffen produzieren. Sie wollen auch nicht aus dem Deal aussteigen. Aber sie wollen sich nicht mehr an bestimmte Auflagen halten.
Das hat folgendes Ziel: Wenn sie jetzt Verhandlungsmasse kreieren, also Dinge tun, auf die sie dann nachher möglicherweise wieder verzichten können, dann haben sie eine bessere Verhandlungsposition. Bei uns ändert sich die Politik. Wir haben alle paar Jahre andere Prioritäten. Aber diejenigen, die in Teheran maßgeblich die Entscheidungen treffen, befinden sich permanent im Verteidigungsmodus und sind solche Situationen gewohnt. Sie bemerken vielleicht manchmal gar nicht den Unterschied zwischen einer Krise und einer sehr schweren Krise.
"Lösung nur mit Staaten in der Region"
tagesschau24: Es ist eine gefährliche Situation. Gibt es denn noch eine Lösung für diesen Konflikt?
Gerlach: Es gibt selbstverständlich eine Lösung für den Konflikt. Aber nur sehr, sehr langfristig. Man muss dahin zurückgehen, wo der Konflikt begonnen hat. Es ist ja nicht so, als wären die USA, der Iran und die Länder der Region seit biblischen Zeiten in ewiger Feindschaft verwickelt. Selbst dieses Regime in Teheran - das man kritisieren muss - weiß, dass es nur mit den Staaten der Region eine Lösung geben kann.
Eine Lösungsmöglichkeit wäre zum Beispiel eine gemeinsame Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit. Der Vorschlag, der aus Europa stammt und auch erfolgreich umgesetzt wurde, liegt seit Jahren auf dem Tisch. Man muss sich genau anschauen, wie es funktionieren könnte, dass man alle Parteien an einen Tisch holt und ein gemeinsames Sicherheitssystem für die Region entwickelt. Da gibt es nur eine Krux: Die Iraner haben sich für solch eine Konferenz mit Saudi-Arabien und den Ländern der Region bereits ausgesprochen. Aber sie sind nicht bereit, dass Israel mit am Tisch Platz nimmt. Über diesen Schatten müssen sie springen. Denn sonst würde ein solches System überhaupt keinen Sinn ergeben.
Das Gespräch führte Tim Berendonk. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht gekürzt und überarbeitet. Die vollständige Fassung finden Sie als Video auf dieser Seite.