Ermittlungen zum Germanwings-Absturz Das Puzzle fügt sich zusammen
Die Ermittlungen zur Germanwings-Katastrophe fügen sich zu einem Bild zusammen. Alles deutet auf eine geplante Tat des Copiloten hin - die Auswertung der beiden Flugschreiber, die Durchsuchung der Wohnung. Wie ist der Stand der Ermittlungen. Ein Überblick.
Was ist bekannt über Flug 4U 9525?
Fakt ist, dass der Germanwings-Airbus 320 um 10.01 Uhr den Flughafen von Barcelona mit Ziel Düsseldorf verlässt. Um 11.55 Uhr sollte die Maschine dort landen. An Bord sind 144 Passagiere, darunter zwei Babys, sowie sechs Besatzungsmitglieder. Im Cockpit sitzt ein erfahrener Pilot, der seit mehr als zehn Jahren für Lufthansa und Germanwings im Einsatz ist. Er hat mehr als 6000 Stunden Flugerfahrung. Der Copilot fliegt seit September 2013 für Germanwings.
Um 10.45 Uhr erreicht die Maschine laut Germanwings ihre Reiseflughöhe von 38.000 Fuß. Eine knappe Minute später geht sie in den Sinkflug, dabei beschleunigt sie mehrmals. Acht Minuten lang sackt die Maschine immer weiter ab. Es gibt keinen Notruf. Um 10.53 Uhr reißt der Kontakt zum Radar und zur französischen Flugsicherung ab. Um 11.10 Uhr entdecken französische Rettungshubschrauber Trümmer der abgestürzten Maschine in den Alpen ab, alle 150 Menschen an Bord sind tot.
Später wird bekannt, dass der Copilot den Absturz schon auf dem Hinflug am selben Tag von Düsseldorf nach Barcelona geprobt hat. Das geht aus dem Zwischenbericht der französischen Untersuchungsbehörde BEA hervor.
Was geschah im Cockpit - laut Stimmenrekorder?
Mit Hilfe des Stimmenrekorders, den Suchmannschaften schon kurz nach dem Absturz am 24. März gefunden haben, können die Ermittler sehr genau das Geschehen im Cockpit rekonstruieren. Die Auswertung der letzten 30 Minuten vor dem Aufprall ergibt demnach, dass sich die beiden Piloten zunächst "ganz normal, ruhig und höflich" unterhalten. Dann beginnt das Briefing für die Landung in Düsseldorf.
Anschließend ist laut Staatsanwaltschaft Marseille zu hören, wie der Pilot den Copiloten auffordert, das Kommando über den Flug zu übernehmen. Daraufhin ist das Geräusch eines zurück gleitenden Sitzes und das einer sich schließenden Tür zu hören. Der Pilot verlässt das Cockpit.
Wenig später fordert der Pilot über eine Sprechanlage den Copiloten auf, ihn wieder herein zu lassen. Keine Antwort, nur die ruhigen Atemgeräusche im Cockpit sind zu hören. Das hämmern an der Tür wird lauter, doch die verriegelte Tür öffnet sich nicht.
Was geschah im Cockpit - laut Flugdatenschreiber?
Zehn Tage nach dem Absturz finden die Suchmannschaften in dem unwegsamen Gelände auch den Flugdatenschreiber. Der Datenrekorder zeichnet Kurs, Geschwindigkeit, Flughöhe oder Neigungswinkel der Maschine auf. Er speichert GPS-Daten und gibt so Auskunft über den genauen Ort eines Unglücks - auch wenn die Trümmer später weit verstreut sind.
Eine erste Auswertung durch die französische Untersuchungsbehörde BEA ergibt, dass der Copilot das Flugzeug bewusst in den Sinkflug bringt. Er stellt den Autopiloten so ein, dass die Maschine auf 100 Fuß (etwa 30 Meter) sinken soll. Während des Sinkflugs wird zudem mehrmals die Geschwindigkeit der Airbus-Maschine erhöht.
Was sagen die französischen Ermittler?
"Es sieht so aus, als ob der Copilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht und so zerstört hat", sagt Staatsanwalt Brice Robin nach der Auswertung der Aufzeichnungen des Stimmenrekorders. Zum Zeitpunkt des Absturzes ist der Copilot allein im Cockpit, der Pilot ist ausgesperrt. Die Daten des Flugschreibers stützen diese These.
Was ist über den Copiloten bekannt?
Seit September 2013 ist Andreas L. Pilot bei der Lufthansa-Tochter Germanwings. Vor seiner Ausbildung zum Piloten ist er wegen schweren psychischen Problemen und Selbstmordgefahr in ärztlicher Behandlung. Seine Ausbildung bei der Lufthansa-Schule in Bremen muss er für mehrere Monate unterbrechen. 2009 informiert er die Lufthansa-Schule über eine "abgeklungene schwere depressive Episode". Den erneuten psychologischen Eignungstest besteht er. Laut Lufthansa besitzt er zum Zeitpunkt des Absturzes "ein voll gültiges Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1". Das Luftfahrtbundesamt als Aufsichtsbehörde weiß nach eigenen Angaben nichts von der medizinischen Vorgeschichte des Copiloten.
Seine Fluglizenz enthält aber offenbar Hinweise auf seine Vorgeschichte. Laut französischer Untersuchungsbehörde BEA gibt es in der Lizenz einen "SIC-Vermerk". Dies bedeutet, dass der Fliegerarzt vor der regelmäßigen Beurteilung der Flugtauglichkeit die Lizenzbehörde - in Deutschland das Luftfahrtbundesamt - kontaktieren muss. Laut BEA erneuerte das Flugmedizinische Zentrum der Lufthansa das Tauglichkeitszeugnis von Andreas L. wegen seiner mit Medikamenten behandelten Depression 2009 zweimal nicht. Im selben Jahr habe er dann ein neues Tauglichkeitszeugnis erhalten.
Die Auswertung seines Tablet-Computers ergibt, dass sich der 27-Jährige in den Tagen vor dem Absturz über Arten und Umsetzungsmöglichkeiten einer Selbsttötung und über Sicherheitsmechanismen von Cockpit-Türen informiert. Wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf mitteilt, gibt Andreas L. bis einen Tag vor dem Absturz in Suchmaschinen entsprechende Begriffe ein. Am Tag des Absturzes ist er krankgeschrieben, verheimlicht dies aber offenbar. Ermittler finden in seiner Wohnung ein zerrissenes Attest.
Gibt es Hinweise auf ein Motiv?
Nicht konkret. Ermittler fanden weder einen Abschiedsbrief noch eine Ankündigung der Tat. Mehr als 100 Ermittler der SoKo "Alpen" durchforsten das familiäre und berufliche Umfeld des 27-Jährigen. Über Ergebnisse ist bislang nichts bekannt.
Wer sind die Opfer?
An Bord der Maschine sind 144 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder. 72 der Opfer sind Deutsche. Außerdem stehen Spanier, Briten, Dänen, Australier, US-Amerikaner, Israelis, Mexikaner Kolumbianer, Argentinier, Japaner und Niederländer auf der Passagierliste.
Die meisten deutschen Opfer kommen aus Nordrhein-Westfalen, unter ihnen sind auch 16 Schüler und zwei Lehrerinnen aus Haltern am See. Sie waren auf dem Rückflug von einem Schüleraustausch.
Inzwischen sind alle Leichen an der Absturzstelle geborgen, nun arbeiten Rechtsmediziner an der schwierigen Identifizierung der Opfer. Dabei werden nach Angaben der französischen Ermittler die gefundenen DNA-Profile mit Proben von Angehörigen abgeglichen.
Welche Folgen hat der Germanwings-Absturz?
Die Einstellung der Menschen zum Fliegen hat die Katastrophe in den Alpen laut ARD-DeutschlandTrend nicht verändert. Eine Expertengruppe berät dennoch über Konsequenzen. Fluggesellschaften haben schon kurz nach dem Absturz die Zwei-Personen-Regel im Cockpit eingeführt. Danach müssen immer zwei autorisierte Crewmitglieder im Cockpit eines Flugzeugs sein.
Diskutiert wird noch, ob der feste Verriegelungsmechanismus an Cockpit-Türen verändert werden muss. Der Mechanismus zum Schutz der Cockpittür steht zur Debatte, weil die Tür derzeit von innen komplett zu verriegeln ist, so dass ein Eindringen auch für Crewmitglieder unmöglich ist. Dies wurde wegen der Anschläge vom 11. September 2001 eingeführt. Damals stürmten Extremisten die Cockpits und übernahmen die Kontrolle über die Flugzeuge.