Lage in Griechenland "Weniger Wut, weniger Hass"
Als Bundeskanzlerin Merkel 2012 zu Besuch in Athen war, schlug ihr große Ablehnung entgegen. Das hat sich geändert: Die Wut der Griechen gegen die Kürzungen ist abgeklungen, sagt der Leiter eines Stiftungsbüros in Athen, Katsioulis, im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Die EU und Bundeskanzlerin Merkel zeigen sich optimistisch, dass Griechenland die Schulden bald selbst schultern kann. Teilen die Griechen diesen Optimismus?
Christos Katsioulis: Ich bin mir nicht sicher, dass wirklich alle daran glauben, dass Griechenland seine Schulden wirklich bald selbst tragen kann. Die Tatsache, dass Griechenland an den Märkten wieder Anleihen platzieren konnte - in diesem Fall eine sehr kleine mit einer relativ bescheidenen Laufzeit - ist eher als Vertrauensbeweis gewertet worden für die durchgeführten Reformtätigkeiten.
tagesschau.de: Ex-Außenminister Droutsas kritisiert Merkels Besuch als Inszenierung im Europawahlkampf. Gewerkschaften machen sie verantwortlich für die "Verelendung". Sehen das die Menschen in Griechenland auch so?
Katsioulis: Die Menschen schieben die Verantwortung nicht direkt Angela Merkel zu, aber sie gehen schon davon aus, dass die maßgeblich von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble geprägte Austeritätspolitik an der Verelendung Schuld ist.
Stimmung anders als vor zwei Jahren
tagesschau.de: Der letzte Besuch von Angela Merkel fand 2012 statt, auf dem Höhepunkt der Krise. Damals gab es Ausschreitungen, sie wurde auch persönlich verantwortlich gemacht. Wie ist das heute?
Katsioulis: Wir haben heute - auch aufgrund des gestrigen Bombenanschlags - ein weitgehend abgesperrtes Zentrum in Athen, das heißt hier im Zentrum werden keine Demonstrationen möglich sein, anders als damals auf dem Syntagmaplatz. Es sind zwar einige Demonstrationen angekündigt, die Stimmung ist aber eine ganz andere: 2012 war sie sehr angespannt, man hat viel Wut gespürt auf den Straßen. Im Moment fühlen sich die Menschen eher belästigt durch die vielen Absperrungen und durch die Polizei auf den Straßen, aber ansonsten spielt der Besuch eigentlich eine relativ geringe Rolle.
Dabei ist auch jetzt die Mehrheit der Griechen Frau Merkel immer noch nicht wohlgesonnen. Aber diese Wut, dieser Hass, den man 2012 häufig spürte, der ist in der Bevölkerung spürbar zurückgegangen.
Reformen ja, Kürzungen nein
tagesschau.de: Die Mehrheit der Bevölkerung sah damals die Notwendigkeit von Reformen ein, trotzdem gab es immer wieder Proteste. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?
Katsioulis: Wir müssen zwei Dinge unterscheiden: Das eine sind Reformen, das andere sind Kürzungen. Bisher haben wir hauptsächlich Kürzungen erlebt. Damit ist eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung nicht einverstanden. Umgekehrt gibt es aber eine große Zahl von Griechen im Land, die sagen, wir brauchen Reformen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, im Gesundheitssystem, im Bildungssystem. Doch da geht es weniger um Kürzungen als um die Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger. Inzwischen sind es die zum Teil noch privilegierten Gruppen, die im öffentlichen und in den staatsnahen Unternehmen beschäftigt sind und deren Privilegien jetzt gekürzt werden, die auf die Straße gehen.
tagesschau.de: Besonders Angestellte, Beamte, Arbeiter und Rentner hatten zu leiden - umgekehrt trafen die Sparmaßnahmen Selbstständige und Unternehmer kaum. Hat sich das inzwischen geändert?
Katsioulis: Die Folgen der Krise werden weiterhin hauptsächlich von denjenigen getragen, deren Steuern sofort vom Lohn abgezogen werden. Auch die Rentner werden dafür herangezogen, allerdings nicht so stark wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dagegen sind die Unternehmer, insbesondere die freien Berufe – Rechtsanwälte, Ärzte, Notare – bislang kaum von der Krise betroffen. Dort hat sich das Eintreiben der Steuern seitens der Finanzämter nicht verbessert. Diese Ungerechtigkeit besteht nach wie vor. Damit ist die soziale Schere, die vor der Krise schon groß war, in der Krise noch einmal weiter auseinander gegangen.
Software-Export wichtiger als Olivenöl
tagesschau.de: Merkel trifft heute gerade auch junge Unternehmer. Haben die noch Vertrauen in die Zukunft Griechenlands?
Katsioulis: Ja, sonst würden sie kein Unternehmen gründen. Es gibt viele Firmen, die in den vergangenen zwei, drei Jahren gegründet wurden. Das sind junge Leute, die mit einer guten Idee und ein bisschen Start-Up-Kapital - teilweise auch aus europäischen Fonds - angefangen haben, hier kleine Unternehmen hochzuziehen, die teilweise extrem erfolgreich sind. So hat im Jahr 2013 der Verkauf von Software in Griechenland mehr Einkünfte gebracht als der Verkauf von Olivenöl. Hier entwickelt sich ein neuer Wirtschaftszweig, in dem Griechenland aufgrund seiner sehr gut ausgebildeten jungen Generation einen Startvorteil hat und ihn zunehmend zu nutzen beginnt.
tagesschau.de: Viele Menschen haben das Land verlassen. Könnte das ein Problem für Griechenland werden?
Katsioulis: Anders als bei der ersten Gastarbeitergeneration war und ist es jetzt eine ganz andere Schicht, die auswandert. Die sind perfekt ausgebildet, meistens schon zweisprachig. So wandern beispielsweise sehr viele junge Ärzte nach Deutschland aus, weil sie zuvor bereits in Griechenland deutsche Schulen besucht habe. Der halbe Medizin-Jahrgang der Universität Thessaloniki wechselt gerade ins Rhein-Main-Gebiet. Dieser Brain-Drain ist eine Gefahr, weil das auch die führenden Köpfe sein könnten für einen möglichen Wirtschaftsaufschwung, der momentan aber noch ausbleibt.
tagesschau.de: Reformen werden viel länger dauern als wir es in Mitteleuropa gewohnt sind, sagten Experten vor zwei Jahren. Wo wird Griechenland Ihrer Ansicht nach nun in den kommenden Jahren stehen?
Katsioulis: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gesehen, dass es keinen schnellen Ausweg aus der Krise geben wird. Die Wirkung der Reformen, die jetzt durchgezogen worden sind, werden wir erst in fünf Jahren sehen. Dann wird Griechenland auch wieder nachhaltiges Wirtschaftswachstum nachweisen können. Im Moment sehen wir ganz zarte, positive Pflänzchen, die zwar an allen Ecken und Enden sprießen. Aber die politische Instabilität ist aber immer noch so groß, dass ein kleiner Schock von außen oder innen dazu führen kann, dass wir in einem halben oder dreiviertel Jahr eine ganz andere Entwicklung haben können.
Trotzdem glaube ich als Optimist schon, dass Griechenland aus dieser Krise wieder herauskommen kann. Dafür sieht man bereits erste Anzeichen. Doch die Erfolgsgeschichte, die Samaras verkündet, dass Griechenland das tiefste Tal der Krise durchwandert hat und dass es jetzt wieder aufwärts geht, sehe ich so noch nicht.
Das Interview führte Caroline Ebner, tagesschau.de