Griechenland nach der Wahl im Mai "Kein Land ist unregierbar"
Viele Griechen sind nach der Wahl mit Schrecken aufgewacht. "Die Volksparteien sollten zwar abgestraft werden, aber nicht in diesem Maße", sagt der griechische Journalist Telloglou gegenüber tagesschau.de. Für unregierbar hält er das Land aber keineswegs - wenn die Parteien über ihren Schatten springen. Das allerdings müssten sie erst noch lernen.
tagesschau.de: Wie interpretieren Sie das Wahlergebnis in Griechenland? Was ist die Botschaft?
Tasos Telloglou: Es wird deutlich, dass die Bevölkerung das jetzige politische System ablehnt und vor allem die Art und Weise, wie der Konsolidierungsprozess in den vergangenen zwei Jahren lief. Aber das heißt nicht, dass die Konsolidierung an sich abgelehnt wird. Die Griechen haben verstanden, dass es kein Zurück zum Jahr 2008 gibt. Aber sie wollen, dass die Lasten des Konsolidierungsprozesses gerechter verteilt werden.
tagesschau.de: Welche Stimmung drückt sich darin vor allem aus? Frustration?
Telloglou: Nein. Frustration hätte sich in einer viel größeren Abstinenz von den Wahlurnen ausgedrückt. Aber die Leute sind wählen gegangen. Die Menschen verlieren in erster Linie so langsam die Geduld und die Hoffnung. Dieser Anpassungsprozess dauert jetzt schon seit 2009. Viele Jüngere verlassen das Land und die, die bleiben, warten auf ein Wunder. Auch das zeigt sich am Wahlergebnis.
tagesschau.de: Inwiefern?
Telloglou: Die Menschen sind gespalten. Einerseits wünschen sie sich die Wiederherstellung des Lebensstandards vor 2009. Sie können nicht nach vorne blicken, sondern nur in die Vergangenheit. Viele verwechseln Ursache und Konsequenz. Sie halten den Sparzwang für die Ursache des ökonomischen Niedergangs. Die Formationen, die gestärkt aus der Wahl hervorgegangen sind, haben den Menschen das so verkauft.
Andererseits ist es nicht die Mehrheit der Bevölkerung, die die Sparmaßnahmen sozusagen abwählen wollte. Die Gegner- und Befürworter-Parteien kommen etwa auf gleich viele Stimmen.
"Wir haben praktisch Zombie-Banken"
tagesschau.de: Worunter leidet die Bevölkerung am meisten?
Telloglou: Das größte Problem ist die fehlende Arbeit. Die Hälfte der Menschen unter 25 ist ohne Job. Sehr viele Firmen mussten dicht machen, weil sie kein Kapital mehr von den Banken bekommen. Wir haben praktisch Zombie-Banken. Draußen steht zwar eine Tafel mit der Aufschrift 'Bank', aber drinnen gibt es kein Geld. Diese Banken hängen am Tropf der EZB. Sie beziehen zwar Geld, aber das wird nur dafür verwendet, Schulden zu bezahlen.
Darüber hinaus sind die Löhne und die Renten sehr stark gesunken. Aber die Preise für Nahrungsmittel sind nach wie vor viel zu hoch. Das ist wirklich ein Problem. Manche Menschen sind dadurch auf Suppenküchen angewiesen. Viele fliegen aus ihren Häusern und Wohnungen, weil sie arbeitslos geworden sind und die Miete nicht mehr zahlen können. Die meisten kommen dann bei Familienmitgliedern unter.
"Die Zeit läuft uns davon, das Geld geht uns aus"
tagesschau.de: Wie wird es jetzt weitergehen? Halten Sie eine Regierungsbildung überhaupt für möglich?
Telloglou: Nicht wirklich. Ich denke, am wahrscheinlichsten ist eine Neuwahl Mitte Juni. Das ist zwar nicht gut, denn uns läuft die Zeit davon und das Geld geht uns aus. Trotzdem wird wohl kein Weg daran vorbeiführen. Ohne eine Beteiligung der Linken macht die Regierungsbildung keinen Sinn.
Es gibt politische Kräfte im Land, die glauben, sie können das zweite Memorandum neu verhandeln. Und viele Wähler denken das auch. Also werden sie es versuchen müssen. Auch wenn der Preis für diesen Versuch die Neuwahl ist. Aber das wird notwendig sein, um die Wähler zu desillusionieren.
"Viele sind am Montag mit Schrecken aufgewacht"
tagesschau.de: Aber wird es denn bei Neuwahlen zu einem klareren Ergebnis kommen?
Telloglou: Das glaube ich schon. In welche Richtung das allerdings gehen wird, ist schwer zu sagen. Ich gehe davon aus, dass die Konturen der Politik in den nächsten Wochen klarer hervortreten werden. Die Bevölkerung wird begreifen, welche Konsequenzen das jetzige Wahlergebnis hat. Ich glaube auch, dass am Montag viele Leute mit Schrecken aufgewacht sind und gedacht haben: 'Wir wollten die Volksparteien zwar bestrafen, aber nicht in diesem Maße'.
tagesschau.de: Spekulieren die bisherigen Regierungsparteien auf Neuwahlen, in der Hoffnung, danach besser dazustehen?
Telloglou: Vielleicht. Aber ich bin gar nicht so sicher, dass die Volksparteien eine Neuwahl gewinnen würden. Auch dann werden die Volksparteien wohl keine Mehrheit ohne die Linke haben und die Linke wird keine Mehrheit ohne die Volksparteien haben. Die Herausforderung wird sein, dass beide über ihren Schatten springen und Kompromisse eingehen. Entweder sie tun das jetzt oder sie tun das nach den nächsten Wahlen.
tagesschau.de: Und wenn das nicht passiert?
Telloglou: Dann wird Griechenland Ende Juni pleite sein. Nicht im technischen Sinne, wie es das bereits war, sondern real pleite. Wir haben für die ausstehenden Zahlungen noch Geld bis Ende Juni. Das ist der Zeitraum, in dem etwas passieren muss.
tagesschau.de: Ist Griechenland unregierbar?
Telloglou: Kein Land ist unregierbar. Nur, diejenigen, die das Mandat bekommen, müssen es auch richtig interpretieren und Verantwortung übernehmen.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.