Telefonat mit Merkel Erdogan will Flüchtlingsdeal überarbeiten
Eine Woche nach Öffnung der türkischen Grenze läuft die Diplomatie auf Hochtouren. Kanzlerin Merkel telefonierte mit Präsident Erdogan. Der wies seine Küstenwache an, Überquerungen der Ägäis zu verhindern.
Während die Lage an der türkisch-griechischen Grenze angespannt bleibt, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, die bisherigen Vereinbarungen funktionierten nicht mehr und müssten überarbeitet werden. Erdogan habe das Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Telefonat gesagt, teilte das Präsidialamt in Ankara mit.
Eine Sprecherin des Bundespresseamtes sagte, bei dem Gespräch hätten sich die beiden über die Ergebnisse des Treffens von Erdogan mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgetauscht, bei dem eine Waffenruhe in der nordsyrischen Rebellenhochburg Idlib vereinbart wurde. Merkel habe mit Erdogan auch darüber gesprochen, "wie den Menschen in Idlib schnellstmöglich geholfen werden kann". Die Sprecherin sagte weiter: "Auch die Lage an der türkisch-griechischen Grenze war Gegenstand des Gesprächs." Weitere Details nannte sie nicht.
Die türkische Küstenwache soll dafür sorgen, dass Flüchtlinge und Migranten nicht mehr mit Booten das Ägäische Meer durchqueren können.
Grünen-Chefin fordert neues Flüchtlingsabkommen
Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat das bisherige Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei derweil als "gescheitert" bezeichnet und eine neue, bessere Vereinbarung gefordert. "Statt dieses gescheiterten Deals brauchen wir ein neues, rechtsstaatlich garantiertes Abkommen, das aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, dafür sorgt, dass Menschen gut versorgt sind und die 27 EU-Staaten nicht wie Dominosteine umfallen, wenn Erdogan einmal pustet", sagte Baerbock der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Das Abkommen mit Ankara sei nicht erst in den vergangenen Tagen, sondern in den "furchtbaren Lagern von Lesbos" gescheitert, sagte Baerbock mit Blick auf die überfüllten Flüchtlingsunterkünfte auf der griechischen Ägäis-Insel.
Europäische Souveränität zeige sich darin, dass die EU weitere verbindliche finanzielle Zusagen mache für die Unterstützung der mehr als vier Millionen Flüchtlinge in der Türkei. Diese bräuchten Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und zum Arbeitsmarkt. "Zu einer funktionierenden Vereinbarung gehört auch die verlässliche Zusage für die Umsiedlung von besonders schutzbedürftigen Menschen aus der Türkei nach Europa - gerade im Lichte der zugespitzten Situation in der Region Idlib", sagte Baerbock mit Blick auf die umkämpfte Provinz im Nordwesten Syriens. Die Türkei müsse aufhören, Menschen als Verhandlungsmasse zu missbrauchen und die Rechte von Schutzbedürftigen wahren.
Küstenwache soll keine Überfahrten zur Ägäis zulassen
Erdogan wies derweil die Küstenwache an, Flüchtlinge und Migranten nicht mehr mit Booten die Ägäis durchqueren zu lassen. Gemeint ist die Überfahrt nach Griechenland, also in die EU. Der Innenminister werde die Umsetzung überwachen, teilte die Küstenwache mit.
Als Rücknahme der am Samstag verkündeten einseitigen Öffnung der Grenzen zur EU für Flüchtlinge und andere Migranten scheint das aber nicht gemeint zu sein. Das "Prinzip der Nicht-Einmischung", wenn Migranten illegal das Land verlassen wollten, gelte weiter, heißt es in der Stellungnahme. Diese Herangehensweise decke aber wegen der "lebensbedrohliche Gefahr" Seereisen nicht ab.
Die Küstenwache beschuldigt Griechenland, Flüchtlingsboote in Gefahr zu bringen. Sie habe am 5. März insgesamt 97 Migranten von drei Booten gerettet, die von Griechenland halb gesunken zurückgelassen worden seien.
Migranten harren auf der türkischen Seite der Grenze nahe der Stadt Edirne aus.
Lage an der Grenze bleibt angespannt
An der Grenze ist die Lage weiterhin angespannt. Es kam erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Migranten und Einsatzkräften. Die griechische Polizei setzte Tränengas gegen Menschen ein, die versuchten, die Grenzzäune zu durchbrechen und in die EU zu gelangen. Etliche Migranten warfen wiederum mit Steinen nach den Einsatzkräften.
Die Regierung in Athen hielt der Türkei vor, Tränengas und Rauchgranaten auf griechische Grenzbeamte abgefeuert zu haben. Die Türkei verteile Schneidegeräte an die Menschen, damit sie die Grenzzäune durchtrennen könnten, behaupteten die Behörden.
EU-Außenbeauftragter: "Grenze ist nicht offen"
Die Lage nahe dem Grenzübergang Pazarkule beruhigte sich nach kurzer Zeit. Hunderte Migranten versammelten sich daraufhin auf der griechischen Seite und skandierten "Freiheit", "Frieden" und "Öffnet die Tore!". Einige von ihnen hielten Schilder mit der Aufschrift "Wir wollen in Frieden leben" hoch.
"Geht nicht zur Grenze, die Grenze ist nicht offen", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell an die Menschen gewandt, die auf Zugang zur EU hoffen. "Wenn wir kritische Situationen vermeiden wollen, müssen die Menschen die Wahrheit wissen." Meldungen über angebliche Grenzöffnungen nach Griechenland, Bulgarien oder Zypern seien falsch. "Lasst uns dieses Spiel beenden", sagte Borrell.
EU-Außenminister kritisieren die Lage an der Grenze
Zugleich erklärte er, die EU müsse ihre Beziehungen zur Türkei und Russland verbessern und die Minister würden über zusätzliche Gelder für die Türkei sprechen. "Die Türkei hat eine große Last, vier Millionen Menschen. Wir müssen das verstehen."
Die EU-Außenminister erklärten nach ihrem Treffen in Zagreb, die Situation an der türkisch-griechischen Grenze sei nicht akzeptabel. Sie sagten Griechenland "volle Solidarität" zu, ebenso "Bulgarien, Zypern und andere Mitgliedstaaten, die ähnlich betroffen sein könnten".
Erdogan hatte vergangenes Wochenende verkündet, die türkischen Grenzen zu Griechenland seien geöffnet, da die EU sich nicht an das Flüchtlingsabkommen halte. Daraufhin brachen Tausende Migranten Richtung Grenze auf. Griechenland schloss als Reaktion seine Grenzen zur Türkei und kündigte an, einen Monat lang keine Asylanträge mehr zu bearbeiten. Insgesamt hat die Türkei bislang rund 3,6 Millionen Menschen aufgenommen und appelliert immer wieder an die EU, bei der Verteilung der Lasten zu helfen.