Gazastreifen Das geheime Tunnelsystem der Hamas
Über Jahre hat die Hamas Milliarden an US-Dollar in ein weitverzweigtes Tunnelsystem investiert. Dieses zu zerstören, warnen Experten, erfordere nicht nur eine Bodenoffensive Israels - sondern auch immense Opferbereitschaft.
In Israel sprechen die Militärs nur von der "Metro". Die "Metro", das ist das weitverzweigte, geheime Tunnelsystem der Hamas. Tief unter der Erde. Yochewet Lifshitz, 85 Jahre alt, hat es gesehen. 17 Tage lang hatten sie Terroristen der Hamas gefangen gehalten. Sie ist die erste Geisel, die nach ihrer Freilassung von ihren Erlebnissen in der Hand der Hamas berichtet.
Mit einem Motorrad wurde sie am 7. Oktober aus ihrem Kibbuz in den Gazastreifen entführt, "bis wir die Tunnel erreichten. Dort liefen wir einige Kilometer weit unterhalb der Erde. Die Erde war feucht und es sah aus wie ein Spinnennetz. Es ist voller Tunnel!"
Hamas investierte Milliarden in Tunnel
Es ist ein Spinnennetz mit vielen Fragezeichen. Denn wie groß dieses Tunnelsystem wirklich ist, wisse keiner genau, sagt Harel Chorev, Militär- und Nahostexperte beim Moshe-Dayan-Center in Tel Aviv.
Wir wissen, es ist ein Netzwerk von Dutzenden Kilometern. Die Hamas versucht, uns Angst zu machen, indem sie sagt, es seien 500 Kilometer an unterirdischen Tunnelanlagen. Sicher ist, wir reden über ein immenses und weitverzweigtes Tunnelsystem, das zwei Ziele hat: Von dort aus kann man kämpfen und sich gegen Angriffe wehren. Die Hamas hat da Milliarden an US-Dollar investiert.
Geld, das aus Katar gekommen sein soll, vom Iran, von anderen arabischen Staaten. Und Geld, das die Hamas aus Einfuhrzöllen bei Importwaren einkassiert hat. Damit habe sie eine einzigartige unterirdische Infrastruktur finanziert und geschaffen, sagt Militärexperte Chorev.
Die Tunnel seien komplett beleuchtet. "Da können sich die Hamas-Leute gut bewegen", so Chorev. "Es gibt zusätzlichen Sauerstoff, Luftfilter, alles, was benötigt wird, um lange unter der Erde zu bleiben." Es gebe Nahrungsmittel, Wasser, ein eigenes Stromnetz. "Und wir wissen, dass sie innerhalb der Tunnelanlagen sogar Motorräder benutzen."
Tunnel bedeuten Flexibilität
Auch unter der Erde soll die Hamas voll kampffähig sein, sagen Militärexperten. Auch deshalb sind bislang - trotz des starken Bombardements - so viele Raketenabschussrampen voll funktionsfähig. Die Waffenlager in den Tunneln dürften gut gefüllt sein, die Kommandozentralen voll funktionstüchtig. Die Tunnelanlagen erlauben es der Hamas, wie aus dem Nichts aufzutauchen, mitunter der israelischen Armee in den Rücken zu fallen.
2014, nach dem letzten größeren Gaza-Krieg, zerstörte die israelische Armee 30 Tunnel, die sich unterirdisch bis nach Israel gezogen hatten. Durch Sperranlagen, die tief in den Boden reichen und mit modernster Technik, etwa Sensoren, die Hohlräume aufspüren, ist das nicht mehr möglich.
Die Tunnelanlagen zerstört hat damals eine Sondereinheit des israelischen Militärs - Yahalom, so der Name, übersetzt: Diamant. Ihr Kommandant, der anonym bleibt, äußerte sich erst kürzlich in einem TV-Interview mit dem US-Sender "The media line". "Wir sind in der gesamten Armee im Einsatz und starten bei einer potenziellen Bedrohung aus dem Untergrund Spezialoperationen, um sie zu neutralisieren", so der Kommandant. "Es ist wie eine Schachpartie. Der Feind macht eine Bewegung und wir reagieren. Aber wir versuchen immer, ihnen einen Schritt voraus zu sein."
Dennoch dürfte der Kampf schwierig werden - und blutig.
Warnung vor immensen Opferzahlen
Mossab Hassan Yousef kennt die Hamas gut. Er ist der Sohn eines der Gründer der Terrororganisation. Er wandte sich Mitte der 1990er-Jahre von der Hamas ab und arbeitete als Informant für den israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet. Inzwischen lebt er mit einer neuen Identität in den USA. In einem Interview mit dem US-Sender CNN rechnet er für den Kampf um die Tunnelanlagen mit vielen Opfern auf beiden Seiten.
Mir tut die israelische Armee leid, wenn sie jetzt nach Gaza einrückt. Überall gibt es Sprengfallen, dann noch die gefährlichen Tunnel. Ich weiß nicht, wie viele Soldaten ihr Leben lassen werden, um die Hamas zu zerschlagen. Das ist die komplizierteste Mission, die eine moderne Armee in unserer Zeit zu bewältigen hat.
Bis zu 40 Meter sollen diese Tunnelsysteme in die Tiefe gehen. Allein starkes Bombardement, wie wir es derzeit erleben, reiche da nicht aus, meint Militärexperte Harel Chorev: "Die Bunker gehen sehr tief. Die sind gut geschützt gegen dieses Bombardement. Da braucht es mehr. Man muss mit Bodentruppen reingehen und sie ausräuchern, und sie so zerstören."
Ob Israel zu einer solch drastischen Maßnahme bereit ist, steht nicht fest. In der Öffentlichkeit wird dieser Schritt so noch nicht diskutiert.